24.11.2025
Mensch und Umwelt besser vor den Risiken chemischer Mischungen schützen
Tagtäglich sind Mensch und Umwelt potenziell Dutzenden oder sogar Hunderten von Chemikalien ausgesetzt, von Kunststoffen und Pestiziden bis hin zu Kosmetika und Reinigungsmitteln.
Auch wenn jede einzelne Substanz für sich genommen die geltenden Sicherheitsstandards erfüllen mag, können sich ihre kombinierten Wirkungen addieren.
Ein in der Fachzeitschrift Science veröffentlichter Policy-Artikel argumentiert, dass die derzeitige Chemikalienregulierung dieser Realität nicht gerecht wird und die Risiken solcher "chemischen Cocktails" systematisch unterschätzt.
Die Autorengruppe fordert daher europäische Entscheidungsträger zu einem entscheidenden Schritt auf: Die Einführung eines Mixture Allocation Factor (MAF) in die anstehende Revision der EU-Chemikalienverordnung REACH, die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien regelt.
"Chemikaliensicherheit kann nicht gewährleistet werden, wenn man Stoffe nur einzeln betrachtet", erklärt Professor Thomas Backhaus, Inhaber des RWTH-Lehrstuhls für Ökotoxikologie und Umweltrisikobewertung sowie University of Gothenburg und Leiter der Autorengruppe. "Wir brauchen dringend ein System, das anerkennt, dass wir ständig komplexen Mischungen ausgesetzt sind."
Warum chemische Mischungen wichtig sind
Forschungsergebnisse zeigen, dass Mischungen von Chemikalien - selbst wenn jede einzelne unterhalb ihres gesetzlichen Grenzwerts liegt - Gesundheit und Umwelt schädigen können. Die kombinierte Exposition kann den sicheren Bereich überschreiten. Studien zu Fortpflanzungsstörungen belegen beispielsweise, dass reale Mischungen aus Pestiziden und Weichmachern bei Tieren Entwicklungsstörungen hervorrufen können, und das bei Konzentrationen weit unterhalb der offiziellen Grenzwerte. Ähnliche Hinweise finden sich aus dem Bereich der Umweltforschung, wo gezeigt wurde, dass Schadstoffe auf komplexe, aber vorhersagbare Weise zusammenwirken.
Die Autoren betonen, dass das Prinzip der Konzentrationsadditivität, welches bereits seit Langem zur Bewertung dioxinähnlicher Schadstoffe eingesetzt wird, eine wissenschaftlich fundierte Methode ist, um die kombinierten Effekte mehrerer Chemikalien abzuschätzen. Die Vernachlässigung von Mischungstoxizität widerspreche sowohl der empirischen Evidenz als auch grundlegenden biologischen Erkenntnissen: Zellen und Organe agieren nicht isoliert - und Chemikalien tun das ebenso wenig.
Der Mixture Allocation Factor
Um diese Erkenntnisse in Politik umzusetzen, schlagen die Forschenden den Mixture Allocation Factor (MAF) vor. Die Idee ist einfach: Jede Chemikalie beansprucht einen Anteil an einem gemeinsamen "Risikobecher". Dieser Becher steht für die Gesamtmenge an chemischer Belastung, die Menschen oder Ökosysteme noch sicher tolerieren können. Durch die Anpassung des Anteils, den jede Substanz beitragen darf, kann sichergestellt werden, dass der Becher nicht überläuft.
Wichtig ist: Der MAF würde Hersteller von risikoarmen Chemikalien nicht bestrafen. Nur jene Stoffe, die maßgeblich zum Gesamtrisiko beitragen, müssten strengere Kontrollen oder Emissionsminderungen erfüllen. Dieser Ansatz ermöglicht einen realistischeren Schutz, ohne die Verwaltung übermäßig zu belasten.
Ein pragmatischer Schritt nach vorn
Die Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit der Europäischen Kommission erkennt bereits die Notwendigkeit eines solchen Mechanismus an. Mehrere EU-Mitgliedstaaten, darunter Schweden, Dänemark, Finnland und Luxemburg, unterstützen die Aufnahme eines MAF in REACH. Die Autoren schlagen vor, zunächst mit einem moderaten MAF-Wert (zum Beispiel 5) zu beginnen und diesen bei Verfügbarkeit neuer Daten schrittweise zu verfeinern.
Die Einführung des MAF würde, so Backhaus und Kollegen, die EU-Chemikalienregulierung wissenschaftlich fundierter und zukunftssicherer machen, ganz im Sinne der Logik, nach der auch Treibhausgase in CO
Quelle: RWTH Aachen
