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Analytik NEWS
Das Online-Labormagazin
17.07.2025

27.05.2025

Eine (neue) Sekunde, bitte!


Eine Einheit neu zu definieren, ist eine aufregende Sache. Und sie muss jahrelang vorbereitet werden. Deshalb arbeiten Zeit-Forschende in der PTB und anderswo längst darauf hin, dass es in einigen Jahren eine "neue" Sekunde geben wird.

Im Mai 2025 sind es genau 150 Jahre nach Einführung des metrischen Systems. Rund 4,7 Milliarden Sekunden sind vergangen, seitdem die Vertreter der damals 18 wichtigsten Industrienationen ihre Unterschriften unter einen Staatenvertrag setzten: die Meterkonvention.

Mit dem 20. Mai 1875 begann eine beispiellose Erfolgsgeschichte, die heute in Paris groß gefeiert wird. Gleichzeitig arbeiten Forschende wie Ekkehard Peik in der PTB schon an dem nächsten Kapitel dieser Erfolgsgeschichte: an der neuen Definition der Sekunde.

Die Meterkonvention gilt bis heute. Auf ihrer Grundlage entstand 1960 das Internationale Einheitensystem (SI), das heute weltweit in der Forschung und fast überall im Alltagsleben genutzt wird. Das SI wurde immer mal leicht verändert. Geradezu radikal war die Änderung 2019: Das SI bekam ein neues Fundament. Es ruht seitdem nicht mehr auf 7 Basiseinheiten, sondern auf 7 Naturkonstanten.

Die Sekunde allerdings hatte längst "ihre" Basiseinheit, sie war bereits seit 1967 auf der Grundlage einer speziellen Eigenschaft des Cäsiumatoms definiert. Deswegen bekam sie 2019 nur einen neuen Anstrich: Ihre Definition wurde den anderen Definitionen angeglichen, physikalisch änderte sich nichts.

Optische Uhren: hundertmal genauer

Aber nun ist sie dran. Als einzige Einheit wird die Sekunde in naher Zukunft nochmal neu definiert werden. "Das hatte sich schon seit 20 Jahren angedeutet", erklärt Ekkehard Peik, Leiter des Fachbereichs "Zeit und Frequenz" an der PTB. Seit etwa zwei Jahrzehnten entwickeln die PTB und andere Metrologie-Institute optische Atomuhren. Die "ticken" schneller als die Cäsiumuhren. Dabei geht es um die entscheidende Frequenz einer Strahlung, die bei den in der Uhr umherschwirrenden Cäsiumatomen eine Spin-Änderung bewirkt.

Man kann diese Spin-Änderung messen und ganz genau die gewünschte Frequenz finden: 9.192.631.770 Hz, also etwas mehr als 9 Milliarden Schwingungen pro Sekunde. Wenn die eingestrahlten Mikrowellen genau so viele Schwingungen vollbracht haben, ist eine Sekunde vergangen. Bei der neuesten Generation von Atomuhren, optischen Uhren, die nicht Cäsium, sondern andere Elemente nutzen, ist die Strahlung noch hunderttausendmal schneller und liegt damit im optischen Bereich. Es ist quasi ein noch viel feineres, schnelleres Ticken. Damit lässt sich die gewünschte Frequenz mit noch höherer Genauigkeit einstellen. Die Uhr ist genauer.

Warum hat man dann bei der Revision des Einheitensystems 2019 nicht die Chance genutzt, auch die Sekunden-Definition umzustellen, weg vom Cäsium, hin zu den neuen optischen Uhren? "Weil es zu viele gleich gute gab", erklärt Peik. Das ist auch heute noch so. Allein in der PTB gibt es zwei verschiedene Ytterbium-, eine Strontium-, eine Aluminium- und eine Indiumuhr. Sie alle sind in ihrer Genauigkeit fast gleich gut. Daher werden sie sich zusammen mit ein oder zwei Handvoll optischer Uhren in anderen Metrologie-Instituten einem ganz speziellen Wettkampf stellen.

Die Siegerin schafft es in die neue Sekunden-Definition, alle anderen geeigneten Kandidatinnen können als sogenannte "sekundäre Realisierungen" genutzt werden. Denkbar ist auch eine alternative Option: Dabei werden sie alle zusammengewürfelt und aus ihren Resonanzfrequenzen eine Art Mittelwert gebildet. "Das wäre aber weniger gut erklärbar und gewissermaßen ein Bruch mit den Traditionen der Meterkonvention und des SI", erklärt Ekkehard Peik.

Die Hürden sind hoch

Darum, glaubt er, wird es wohl die Option "Wettkampf" werden. Die nächste Generalkonferenz für Maß und Gewicht 2026 könnte sich für eine der beiden Optionen entscheiden. Vier Jahre später, bei der nächsten Generalkonferenz 2030, könnte die neue Definition in Kraft treten. Vielleicht verschiebt sich auch alles um weitere vier Jahre. Denn die Hürden sind hoch, die Anforderungen immens. Zum Beispiel müssen die neuen Uhren genügend oft beweisen, dass sie hundertmal genauer sind als die aktuellen Cäsium-Fontänenuhren.

Im Metrologendeutsch gesprochen, müssen sie Unsicherheiten von 10-18 erreichen statt 10-16 beim Cäsium. Und die optischen Uhren müssen zuverlässig und robust für den Dauerbetrieb sein, um Beiträge für Zeitskalen und zur internationalen Atomzeit zu liefern. Bislang macht das die PTB nur mit ihren beiden Cäsiumfontänen. Die gehören zu den besten der Welt und haben einen sehr hohen Anteil an der internationalen Zeit. "Und dieses stabile System muss ja weiterlaufen, auch während es renoviert wird", erklärt Peik. Aber kein Problem, die optischen Uhren der PTB sind bereit zu ihrem Beitrag an der Weltzeit.

Doch ist die Renovierung überhaupt nötig, wo doch die Sekunde jetzt schon die am genauesten realisierbare Einheit ist? Eigentlich nicht zwingend, sagt Peik: "Die breiten Anwendungen werden von Cäsium-Uhren noch sehr gut abgedeckt, und wo man sie braucht, werden die optischen Uhren bereits eingesetzt." Zum Beispiel in der Grundlagenforschung: bei den Fragen, ob es sogenannte dunkle Materie wirklich gibt oder ob sich Naturkonstanten im Laufe der Zeit ändern.

Richtig spannend sind optische Uhren auch für die Geodäsie. Mit ihnen kann man Höhenunterschiede von wenigen Zentimetern messen. Und natürlich kann man mit ihnen auch jetzt schon die Zeit "machen" oder die Cäsiumuhren noch besser kontrollieren. Aber es wird trotzdem zur Neudefinition kommen. "Was man besser tun kann als jetzt, das sollte man auch tun", sagt Peik schlicht. Also werden die optischen Uhren über kurz oder lang das Maß der Dinge bei der Zeitmessung werden, und dann möglicherweise auch neue Anwendungen stimulieren, die heute noch nicht absehbar sind.

Kommerzialisierung beginnt

Und welche der optischen Uhren wird das Rennen machen? Darauf gibt es noch keine klare Antwort. Vielleicht kommen sogar noch neue Systeme hinzu, wie die Thorium-Kernuhr, bei der es aktuell große Fortschritte gibt. Klar ist aber auch, dass die übrigen Kandidatinnen weiter ihren Wert haben: Sie können weiter genutzt und weiterentwickelt werden und ebenfalls zur Weltzeit beitragen. Sehr wichtig ist es auch, Uhren zu haben, die kompakt und transportabel sind.

Und so wie aus den ersten Cäsiumatomuhren, 1955 entwickelt, schließlich kommerzielle Modelle wurden, die heute in Netzwerkknoten stehen oder auf GPS-Satelliten mitfliegen, so beginnt auch bei den optischen Uhren die Kommerzialisierung: Die Firma Toptica Photonics im bayerischen Gräfelfing hat gerade begonnen, eine PTB-Entwicklung von einem Prototypen zu einem Serienmodell zu machen: eine optische Ytterbiumuhr, die keinen großen Lasertisch mehr braucht, sondern fast schon in jedes Wohnzimmer passen würde (wenn man die geschätzten 1 bis 2 Millionen Euro zur Hand hat, die so etwas zurzeit wohl kosten dürfte). Auch eine Strontiumuhr der PTB ist bereits mobil geworden und in ihrem Autohänger an Orte gefahren worden, wo sie geografische Höhen auf feinste genau gemessen hat.

Und bei dieser Anwendung schließt sich ein bisschen der Kreis, der mit der Meterkonvention begann: Entscheidend war damals die Idee, dass man Einheiten nicht auf (variable) menschliche Körpermaße, sondern auf Eigenschaften der Natur beziehen soll. Beim Namensgeber des Systems, dem Meter, ging der Weg von den Ellen und Füßen einzelner Herrscher hin zu einem Teil des Erdumfanges und weiter zu einer universellen Konstante der Natur, der Lichtgeschwindigkeit. Die Sekunde dagegen ist seit eh und je auf die Natur bezogen: als ein Teil des durch die Drehung der Erde bestimmten Tages. Alle späteren Definitionen wurden an diese Länge angepasst, nur die Genauigkeit wurde dabei immer besser.

Ironie der Geschichte: Die Sekunde ist auch etwa so lang wie ein menschlicher Herzschlag. Warum das so ist, weiß auch Ekkehard Peik nicht genau. Auch Physiker, deren Uhren so genau sind, dass sie theoretisch über die gesamte Dauer des Universums nur eine Sekunde falsch gehen, wissen halt nicht alles über die Welt.

Quelle: Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB)