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16.07.2025

23.05.2025

Logistik der Zelle entschlüsselt: Erste umfassende Beschreibung chemischer Transportwege


Ein bisher beispielloser internationaler Kraftakt zur Entschlüsselung des zellulären Transports chemischer Substanzen mündete nun in vier bahnbrechenden Studien, die in der Fachzeitschrift Molecular Systems Biology veröffentlicht wurden.

Unter der Leitung von Giulio Superti-Furga am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und mit Unterstützung eines internationalen Konsortiums akademischer und pharmazeutischer Partner im Rahmen der Innovative Medicines Initiative der Europäischen Union, liefert dieses über ein Jahrzehnt laufende Projekt die erste umfassende und funktionelle Kartierung chemischer Transportwege in menschlichen Zellen.

Das Leben in all seinen Formen hängt von der Fähigkeit der Zellen ab, Substanzen mit ihrer Umgebung auszutauschen. Nährstoffe, Ionen und Vitamine müssen aufgenommen, während Abfallprodukte und spezielle Metaboliten ausgeschieden werden. Dieser fundamentale Prozess basiert auf Transporter-Proteinen, die in Zellmembranen eingebettet sind. Trotz ihrer zentralen Rolle war über die Funktion vieler der hunderten Transporter und ihrer Gene im menschlichen Genom bislang nur wenig bekannt - mit weitreichenden Folgen für die Forschung in Bereichen wie Krebs, Stoffwechsel- oder neurologischen Erkrankungen.

Um diesem Forschungsdefizit zu begegnen, forderte die Gruppe um Superti-Furga bereits 2015 in einem wegweisenden Artikel in der Fachzeitschrift Cell eine Intensivierung der Forschung auf diesem Gebiet. Zehn Jahre später haben das CeMM und ein internationales Konsortium den Durchbruch geschafft: Durch die Fokussierung auf die größte Familie von Transportern - die sogenannten Solute Carrier (SLCs) - konnte das bestehende Wissen mehr als verdoppelt und die Grundlage für zukünftige Durchbrüche geschaffen werden.

Ein Megaprojekt zu Membrantransportern

In einer massiven koordinierten Aktion arbeiteten 120 Forschende aus 13 Institutionen in acht Ländern unter dem Namen RESOLUTE zusammen. Nach mehr als fünf Jahren intensiver Laborarbeit wurden die meisten experimentellen Daten erhoben. Das CeMM-Team - unterstützt von einigen Schlüsselpartnern und finanziert vorwiegend durch die Österreichische Akademie der Wissenschaften - widmete weitere Jahre der Harmonisierung, Integration und Interpretation der umfangreichen Datensätze.

Das Ergebnis ist eine tiefgreifende Erweiterung des biologischen Wissens über SLC-Transporter durch eine Kombination aus experimentellen und computergestützten Methoden. Die gewonnenen Erkenntnisse beleuchten die komplexe Logistik des chemischen Transports in menschlichen Zellen und bieten neue Ressourcen für die weltweite wissenschaftliche und medizinische Gemeinschaft. "Es ist schwer, in der Geschichte der Molekularbiologie eine ähnlich starke, gezielte Initiative zu finden, die so viel Wissen und Werkzeuge zu einer einzelnen Protein-Klasse beigetragen hat - und das bei einer Gruppe, die derart relevant für menschliche Erkrankungen ist", sagt Giulio Superti-Furga, wissenschaftlicher Direktor des CeMM und Koordinator des RESOLUTE-Konsortiums. "Mit diesen vier Studien hoffen wir, die Einstiegshürden für die Transporterforschung deutlich gesenkt und eine Welle an biomedizinischen Entdeckungen ausgelöst zu haben."

"Das vielleicht wichtigste Ergebnis ist, dass wir die meisten - wenn nicht sogar alle - Solute Carrier mit funktionellen Informationen annotieren konnten und ein umfangreiches Arsenal an Werkzeugen geschaffen haben, das nun der weltweiten Forschungsgemeinschaft zur Verfügung steht. Dieses Ergebnis, das in der RESOLUTE-Wissensdatenbank gipfelt, stellt eine einzigartige Ressource und einen echten Schatz für die Gemeinschaft dar", erklärt Ulrich Goldmann, maßgeblich für die Datenintegration verantwortlich.

Giulio Superti-Furga ergänzt: "Wir sind zutiefst dankbar für die Unterstützung durch die Innovative Health Initiative (IHI), früher Innovative Medicines Initiative (IMI) - einer Partnerschaft der EFPIA (European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations) und der Europäischen Union - sowie für die Beiträge unserer herausragenden Partner. Ohne sie wäre dieses Projekt nicht möglich gewesen. Seit einigen Jahren trägt CeMM die Hauptverantwortung für die Validierung, Annotation, Pflege und Weiterentwicklung dieser wertvollen Plattform. Mit Blick auf die Zukunft eröffnet sich eine wertvolle Gelegenheit für Förderinstitutionen und Industriepartner, die langfristige Sicherung und Weiterentwicklung dieser Initiative aktiv mitzugestalten. Es ist keineswegs zu spät, Impulse zu setzen und Ressourcen bereitzustellen, damit dieser bedeutende Wissensschatz weiter wächst und die biomedizinische Forschung weltweit inspiriert."

Projektmanagerin Tabea Wiedmer, die nach dem tragischen, frühen Tod von Daniel Lackner die Koordination übernahm, betont den kollaborativen Geist der Initiative: "Die Koordination eines derart großen Forschungskonsortiums war besonders während der COVID-Pandemie eine Herausforderung. Es erforderte viel Kreativität, um die Motivation und den Fokus aller Beteiligten aufrecht zu halten - aber es hat hervorragend funktioniert. Dieser Erfolg beruht wesentlich auf der effizienten Verbindung und gegenseitigen Ergänzung unterschiedlichster Fachkompetenzen."

Highlights der vier Schlüsselstudien:

  • Metabolisches Mapping der SLC-Superfamilie:
    Hunderte SLC-Gene wurden systematisch ausgeschaltet oder überexprimiert, was einzigartige metabolische und genregulatorische Signaturen offenbarte. Dabei wurden potenzielle Substrate für 71 bislang unbekannte Transporter identifiziert. SLC45A4 wurde als neuartiger Polyamin-Transporter charakterisiert. Clusteranalysen legten funktionelle Subgruppen nahe, etwa in der Osmolyten-Balance oder Glykosylierung - Funktionen, die bisher keiner spezifischen SLC-Gruppe zugeordnet waren.
  • Das vollständige SLC-Interaktom:
    Protein-Protein-Interaktionen für nahezu 400 SLCs wurden kartiert. Tausende neue Verbindungen kamen zum Vorschein und geben Hinweise zu Regulationsmechanismen der Transporter, etwa die Rolle von PDZ-Domänen bei der Lokalisierung oder die Rolle von Degrons bei der Protein-Stabilität.
  • Erste genetische Interaktionskarte für SLCs:
    In über 35.000 Doppel-Knockout-Experimenten wurden synthetisch letale Interaktionen und funktionelle Redundanzen entdeckt - darunter neue potenzielle Angriffspunkte für Therapien, insbesondere bei mitochondrialen SLCs. Beispielsweise zeigt der Zinktransporter SLC39A1 eine unerwartete Rolle bei der metabolischen Reprogrammierung und anti-apoptotischer Signalgebung in Krebszellen.
  • Integrierte funktionelle Landschaft der SLCs:
    Unter Nutzung der im RESOLUTE-Projekt generierten und öffentlich verfügbaren Daten wurde eine umfassende, systematische Datenbank erstellt, die biochemische und biologische Eigenschaften der SLCs kartiert. Dieser Ansatz könnte als Modell für die Integration hochdimensionaler Multi-Omics-Daten dienen.

Neue therapeutische Chancen:

SLC-Transporter sind an einer Vielzahl von Erkrankungen beteiligt - von Krebs über neurologische Störungen bis hin zu Diabetes und erblichen Stoffwechselkrankheiten. Auch die Wirkung zahlreicher Medikamente hängt davon ab, ob sie durch spezifische Transporter Zellmembranen überwinden können. Durch die Erweiterung des Wissensstandes und Bereitstellung essenzieller Werkzeuge bereitet RESOLUTE den Boden für innovative Therapieansätze und Fortschritte in der Präzisionsmedizin.

Ressourcen für die Wissenschaft:

Alle im Rahmen von RESOLUTE entwickelten Reagenzien, Werkzeuge und Datensätze stehen frei zur Verfügung - ein Bekenntnis zu Open Science und zur Förderung weltweiter Forschungskooperation.

Förderhinweis:

Diese großangelegte Initiative wurde durch die Innovative Medicines Initiative 2 Joint Undertaking im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizont 2020 der Europäischen Union und der European Federation of CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin GmbH der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA) gefördert. Weitere Förderungen kamen von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und den teilnehmenden Institutionen.

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Quelle: CeMM Research Center for Molecular Medicine of the Austrian Academy of Sciences