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Analytik NEWS
Das Online-Labormagazin
16.07.2025

22.05.2025

Überwachung von Mehrphasen-Systemen in der Biomasse-Chemie

Dr. Alexander Echtermeyer , S-PACT


Die Erhaltung der molekularen Komplexität, wie sie natürlicherweise in Biomasse vorkommt, ist ein zentrales Element innovativer (lignocellulose-basierter) Bioraffinerieprozesse, um der chemischen Industrie erneuerbare und nachhaltige Molekülbausteine, sogenannte Plattformchemikalien, bereitzustellen.

Dies kann durch den Einsatz von Mehrphasensystemen für homogen katalysierte Reaktionen erreicht werden, die eine hohe Selektivität und katalytische Aktivität bei der Herstellung biobasierter Chemikalien wie 5-Hydroxymethylfurfural (5-HMF) und 5-Methylfurfural (5-MFF) versprechen.

2-Methyltetrahydrofuran (2-MTHF) ist ein interessanter Lösungsmittelkandidat für die In-situ-Produktextraktion in Mehrphasensystemen, da es aus Biomasse gewonnen wird, ungiftig sowie säure- und basenstabil ist.

Darüber hinaus lassen sich die physikalisch-chemischen Eigenschaften des Lösungsmittelsystems 2-MTHF/Wasser durch die Zugabe funktioneller Gase wie Kohlendioxid (CO2) gezielt beeinflussen. So entsteht eine gasexpandierte Flüssigkeit, die sich vorteilhaft auf die darin ablaufenden Reaktionen auswirkt - beispielsweise kann gezeigt werden, dass unerwünschte Nebenproduktbildung unterdrückt und die Extraktionskinetik verbessert werden kann [1,2].

Für die optimale Einstellung des Mehrphasensystems und damit für die spätere Auslegung und den Betrieb eines technischen Prozesses ist jedoch ein detailliertes Verständnis des druck- und temperaturabhängigen Dampf-Flüssig-Flüssig-Gleichgewichts (VLLE) unerlässlich, z.B. in Form eines thermodynamischen Modells. Zur Erhebung der dafür erforderlichen VLLE-Daten kommen Methoden der Inline-Prozessspektroskopie in Kombination mit leistungsfähiger Chemometrie zum Einsatz. Diese umgehen Nachteile wie die Störung des Phasengleichgewichts oder die Zersetzung der Probe bei Probenentnahme und ermöglichen stattdessen eine schnelle, nicht-invasive, umfassende und quantitative Phasenüberwachung.

In dieser Arbeit werden VLLE-Messungen des Mehrphasensystems CO2/2-MTHF/ Wasser durchgeführt und inline überwacht. Dabei kommt die Mittelinfrarot-Spektroskopie (MIR) zur Analyse der oberen organischen Phase und die Raman-Spektroskopie zur Untersuchung der unteren wässrigen Phase zum Einsatz, um Einblicke in die Phasenzusammensetzung bei verschiedenen CO2-Gasdrücken zu gewinnen. Die aufgezeichneten Daten bilden die Grundlage für die thermodynamische Modellierung des Lösungsmittelsystems [3-5].

Experimenteller Aufbau und Messungen

VLLE-Messungen werden in einer Nitsch-Zelle aus Edelstahl durchgeführt, die mit zwei gegenläufig rotierenden Rührwerken für die obere und untere Phase sowie mit faseroptischen Sonden für die MIR- und Raman-Spektroskopie ausgestattet ist (vgl. Abbildung 1).

Versuchsaufbau für VLLE-Messungen
Abb.1: Linker Teil: Versuchsaufbau für VLLE-Messungen bestehend aus einem Autoklav (1), Drucksensoren (2), CO2-Behältern (3), Rührwerken (4), Inline-MIR-Sonde (5), Inline-Raman-Sonde (6), Temperatursensor (7), Mehrwegeventil (8), HPLC-Pumpe (9) und Temperaturregler (10).
Rechter Teil: Schematische Darstellung des VLLE-Experiments mit Inline-Überwachung der organischen und wässrigen Phase im Autoklav.

Die MIR-Spektroskopie mit hoher Sensitivität für Wasser eignet sich besonders für die Analyse der organischen Phase, während die Raman-Spektroskopie aufgrund ihrer geringen Wasserempfindlichkeit und hohen Empfindlichkeit gegenüber organischen Molekülen ideal für die Überwachung der wässrigen Phase ist. Beide Messtechniken ermöglichen zudem den Nachweis von gelöstem CO2. Kalibriermessungen werden bei 20 °C durchgeführt.

Für die Flüssiggemische von 2-MTHF in Wasser (wässrige Phase, Raman) und Wasser in 2-MTHF (organische Phase, MIR) werden Proben separat in Probengefäßen vorbereitet und gemessen. Für CO2 in Wasser (wässrige Phase, Raman) und CO2 in 2-MTHF (organische Phase, MIR) werden definierte Mengen Wasser oder 2-MTHF in die Nitsch-Zelle gegeben, gefolgt von der Zugabe definierter Mengen gasförmigen, verdichteten CO2 aus den CO2-Behältern (vgl. Abbildung 1, Markierung 3) mit anschließender Spektrenaufnahme im Gleichgewichtszustand.

Im Verlauf der VLLE-Messungen wird das CO2/2-MTHF/Wasser-System im Gleichgewicht bei Temperaturen von 20 °C bis 90 °C und CO2-Druckbereichen von 0,3 bar bis 35,1 bar untersucht. Für diese Experimente werden definierte Mengen Wasser und 2-MTHF in die Nitsch-Zelle eingefüllt. Nach Erreichen des Flüssigphasengleichgewichts bei der Zieltemperatur wird komprimiertes CO2 bei definiertem Druck direkt aus einer CO2-Gasflasche in das System eingebracht. MIR- und Raman-Spektren werden kontinuierlich aufgezeichnet, um den stabilen Phasengleichgewichtszustand anhand invariant bleibender Spektralsignale zu erkennen.

Modellierung und Kalibrierung

Für jede Flüssigphase wird ein chemometrisches Modell auf Basis von Spectral Hard Modeling erstellt. Dies erfolgt unter Anwendung der Prinzipien des Indirect und Complemental Hard Modeling unter Verwendung der Spektren der Reinsubstanzen 2-MTHF und Wasser sowie der binären Mischungsspektren von CO2 in 2-MTHF (MIR) bzw. in Wasser (Raman) [6,7]. Die resultierenden Mischungsmodelle (Hard Models, HM), angepasst an Messdaten eines ternären Systems bestehend aus CO2, 2-MTHF und Wasser, sind in Abbildung 2 dargestellt.

MIR- und Raman-Spektrum
Abb.2: Links: MIR-Spektrum der organischen Phase (schwarze durchgezogene Linie), Hard Model Fit (rote durchgezogene Linie), Modelle der Reinstoffe (blaue durchgezogene Linie) und Basislinie (blau gestrichelte Linie) der oberen organischen Phase mit in 2-MTHF gelöstem CO2 und H2O.
Rechts: Raman-Spektrum und Hard Model Fit der unteren wässrigen Phase mit in Wasser gelöstem CO2 und 2-MTHF. Beide Spektren wurden bei 90 °C und 35,1 bar aufgenommen.

Da sämtliche Komponenten in beiden Phasen bekannt und definiert sind, ist eine ratiometrische Kalibrierung durchführbar, wobei die Gesamtsumme aller Molanteile auf 1 normiert wird. Das Mischungsmodell der organischen Phase wird mit 59 Trainingsproben kalibriert, während das Mischungsmodell der wässrigen Phase mit 17 Trainingsproben kalibriert wird.

Kalibrierergebnisse
Tab.1: Kalibrierergebnisse für die organische
Phase (org., MIR) und die wässrige Phase
(aq., Raman), angegeben als RMSECV
für das System CO2/ 2-MTHF/Wasser.
Zur Bewertung der Modellgüte und zur Quantifizierung der Vorhersageleistung wird eine Leave-10-out-Kreuzvalidierung durchgeführt. Die Resultate sind in Tabelle 1 für die obere organische Phase (MIR) sowie die untere wässrige Phase (Raman) zusammengestellt. Sämtliche Komponenten weisen gute Kalibrierergebnisse auf, wobei Werte für den RMSECV (Root Mean Square Error of Cross-Validation) eine Größenordnung unterhalb der verwendeten Kalibrierkonzentrationen liegen, was auf eine hohe Prognosefähigkeit des Modells hinweist.

Ergebnisse und Ausweitung auf Biomoleküle

Die spektroskopische Quantifizierung der Zusammensetzung der oberen organischen und unteren wässrigen Phase des ternären Systems CO2/2-MTHF/ Wasser mittels Spectral Hard Modeling-gestützter Inline-MIR- und Raman-Spektroskopie liefert eine belastbare Datengrundlage für die Charakterisierung und thermodynamische Modellierung des VLLE im untersuchten Temperatur- und Druckbereich. Mit steigendem CO2-Druck wird eine verstärkte Phasensegregation beobachtet, was durch eine geringere Polarität der CO2-angereicherten organischen Phase erklärt werden kann.

Diese Erkenntnisse motivieren die Erweiterung des untersuchten chemischen Systems durch die Zugabe von Zielmolekülen biogener Herkunft wie 5-HMF und 5-MFF. Nach Erweiterung der chemometrischen Mischungsmodelle um Reinstoffmodelle für 5-HMF und 5-MFF sowie Durchführung entsprechender Kalibrierexperimente werden weitere VLLE-Messungen bei 25 °C und variierenden CO2-Drücken ausgeführt, um den Einfluss der CO2-Zugabe auf die Verteilung dieser bio-basierten Plattformmoleküle im Mehrphasensystem zu analysieren. Exemplarische Messergebnisse für die organische Phase sind in Abbildung 3 für 5-HMF (links) und 5-MFF (rechts) dargestellt.

Molanteile von 2-MTHF, Wasser, CO
Abb.3: Molanteile von 2-MTHF, Wasser, CO2 sowie 5-HMF (links) und 5-MFF (rechts) in der organischen Phase bei
unterschiedlichen CO2-Drücken von 10-20 bar und 25 °C, bestimmt mittels Inline-MIR-Spektroskopie und Spectral Hard Modeling.

Nach Gleichgewichtseinstellung von 2-MTHF/Wasser (nach ca. 20min Versuchsdauer) werden die Komponenten mittels Puls-Injektion in die wässrige Phase eingebracht und verteilen sich anschließend auf beide Phasen (nach ca. 40min Versuchsdauer). Während 5-HMF mit steigendem CO-Druck zunehmend aus der organischen Phase verdrängt wird, verbleibt das weniger polare 5-MFF in der organischen Phase. Dieser Effekt ermöglicht es, der durch Mineralsäuren - häufig als Katalysatoren in Bioraffinerieprozessen eingesetzt - induzierten Phasenvermittelung in diesem Lösungsmittelsystem entgegenzuwirken. Somit erlaubt die gezielte Einstellung des CO2-Drucks eine kontrollierte Beeinflussung des komplexen VLLE-Verhaltens, um das Lösungsmittelsystem optimal an die spezifischen Anforderungen des jeweiligen Prozesses anzupassen.

Zusammenfassung und Ausblick

Die kombinierte Inline-MIR- und Raman-Spektroskopie in Verbindung mit physikalisch motiviertem Spectral Hard Modeling ermöglicht eine reibungslose und verlässliche Durchführung von VLLE-Experimenten im Mehrphasensystem CO2/2-MTHF/Wasser - ohne die Nachteile konventioneller Probenahmeverfahren. Die Erweiterung des Lösungsmittelsystems durch schrittweise Injektion biogener Moleküle wie 5-HMF und 5-MFF erlaubt nicht nur die Untersuchung ihrer Gleichgewichtsverteilung bei unterschiedlichen CO2-Drücken, wie in der vorliegenden Studie gezeigt, sondern auch die Erfassung der damit verbundenen Stofftransferraten. Dies erfolgt durch zeitaufgelöste Erfassung der Konzentrationsprofile in der organischen und wässrigen Phase, wodurch sich Extraktionskinetiken ableiten lassen. Diese Informationen liefern einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung effizienterer Prozesse für die strukturerhaltende Umwandlung von Biomasse.

Danksagung

Die vorgestellten Anwendungen wurden im Center for Next Generation Processes and Products (NGP2) der Aachener Verfahrenstechnik (AVT) an der RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland, entwickelt. Die Experimente wurden am Lehrstuhl für Fluidverfahrenstechnik (AVT.FVT) und am Lehrstuhl für Systemverfahrenstechnik (AVT.SVT) durchgeführt.

Bildmaterial

Mit freundlicher Genehmigung der AVT RWTH Aachen University.

Quellen

  1. Geilen et int. Leitner, Angew. Chem. Int. Edit., 2011, 50(30):6831-6834.
  2. Fu et al., Green Chem., 2017, 19(14):3334-3343.
  3. Aigner et int. Jupke, J. Chem. Eng. Data, 2019, 65(3):993-1004.
  4. Echtermeyer et int. Mitsos, EuroPACT Conference, 2017.
  5. Echtermeyer, Doctoral Dissertation, RWTH Aachen University, 2022.
  6. S-PACT GmbH, Getting Started with Indirect Hard Modeling, (Accessed: 25.04.2025).
  7. S-PACT GmbH, Getting Started with Complemental Hard Modeling (CHM), (Accessed: 25.04.2025).


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