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08.09.2024

25.07.2024

Ein Tropfen Blut, viele Diagnosen: Plasma-Infrarot-Fingerprinting mit maschinellem Lernen

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Stellen Sie sich ein Szenario vor, in dem ein einziger Blutstropfen innerhalb von Minuten umfassende Gesundheitsinformationen liefert. Einem solchen Ziel sind Forschende um Dr. Mihaela Zigman von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) ein Stück nähergekommen.

In Zusammenarbeit mit dem Helmholtz Zentrum München haben sie ein Gesundheitsscreening-Tool entwickelt, das mithilfe von Infrarotlicht und maschinellem Lernen mehrere Gesundheitszustände mit nur einer Messung erkennen kann.

Die Infrarotspektroskopie ist eine Technik, bei der Infrarotlicht zur Analyse der molekularen Zusammensetzung von Substanzen eingesetzt wird. Es ist, als würde man Molekülen einen Fingerabdruck abnehmen. Bei der Anwendung auf komplexe Bioflüssigkeiten wie Blutplasma kann die Technologie detaillierte Informationen über molekulare Signale liefern.

Obwohl die Infrarotspektroskopie seit Langem in der Chemie und der Industrie eingesetzt wird, hat sie sich in der medizinischen Diagnostik noch nicht durchgesetzt. Dieser Aufgabe hat sich nun ein Team von Forschenden der Broadband Infrared Diagnostics Forschungsgruppe (BIRD) im attoworld-Team unter der Leitung von Dr. Mihaela Zigman angenommen.

Nachdem die BIRD-Gruppe bereits die Methode zum molekularen Fingerabdruck von menschlichem Plasma entwickelt hat, arbeiteten die Forschenden jetzt mit dem Team von Professorin Dr. Annette Peters vom Helmholtz Zentrum München zusammen, das eine groß angelegte Bevölkerungsstudie durchgeführt hat.

Gemeinsam haben sie das sogenannte Infrarot-molekulare Fingerprinting auf eine diverse Bevölkerung zum ersten Mal angewendet. Dazu wurde das Blutplasma von Tausenden von Teilnehmern im Rahmen der KORA-Studie, einem umfassenden repräsentativen Gesundheitsforschungsprojekt im Raum Augsburg, gemessen.

Weitreichende Anwendungsmöglichkeiten

Mehr als 5.000 Blutplasmaproben wurden so mittels Fourier-Transformations-Infrarot-Spektroskopie (FTIR) untersucht. Tarek Eissa und Cristina Leonardo vom BIRD-Team der LMU analysierten die Blutproben mit Infrarotlicht, um molekulare Fingerabdrücke zu vermessen. Das Team wandte maschinelles Lernen an, um die Korrelation zwischen den gemessenen molekularen Fingerabdrücken und den medizinischen Daten zu analysieren.

Sie entdeckten, dass diese Fingerabdrücke wertvolle Informationen enthalten, die ein schnelles Gesundheitsscreening ermöglichen. Ein mehrstufiger Computeralgorithmus ist nun in der Lage, zwischen verschiedenen Gesundheitszuständen zu unterscheiden, darunter anormale Blutfettwerte, verschiedene Blutdruckveränderungen und Typ-2-Diabetes, aber überraschenderweise auch Prädiabetes, einer Vorstufe des Diabetes, die oft übersehen wird.

Der Algorithmus konnte den Forschenden zufolge sogar Personen herausfiltern, die gesund waren und über den Untersuchungszeitraum von mehreren Jahren gesund blieben. Das ist aus zwei Gründen von Bedeutung: Erstens erleben die meisten Menschen in jeder beliebigen Population anormale gesundheitliche Veränderungen. Da wir alle unterschiedlich sind und uns im Laufe der Zeit verändern, ist es daher alles andere als trivial, völlig gesunde Personen zu identifizieren. Zweitens leiden sehr viele Menschen an mehreren Krankheiten in verschiedenen Kombinationen. Traditionell würden Ärzte für jede Krankheit einen neuen Test benötigen.

Mit dem neuen Ansatz lässt sich jetzt nicht nur eine Krankheit feststellen, sondern eine ganze Reihe von Gesundheitsproblemen und komplexen -zuständen mit mehreren Krankheiten gleichzeitig. Darüberhinaus kann es die Entwicklung des metabolischen Syndroms Jahre vor dem Auftreten von Symptomen vorhersagen und so ein Zeitfenster für Interventionen schaffen.

Die neue Studie legt den Grundstein dafür, dass der molekulare Infrarot-Fingerabdruck in Zukunft zu einem Routinebestandteil von Gesundheitsuntersuchungen werden könnte. Er soll Ärzten ermöglichen, Krankheiten effizienter zu erkennen und zu behandeln. Das ist wichtig bei Stoffwechselstörungen, wie erhöhtem Cholesterin und Diabetes, bei denen frühzeitig getroffene Maßnahmen die Gesundheit erheblich verbessern können.

Die Anwendungsmöglichkeiten dieser Methode könnten noch weiter reichen: In dem Maße, wie die Forscher die Methodik verfeinern und ihre Fähigkeiten durch Technologieentwicklung ausbauen, könnten noch mehr Gesundheitszustände nach klinischer Erprobung in das Diagnoserepertoire aufgenommen werden. Das könnte zu einem personalisierten Gesundheitsscreening führen, bei der der Einzelne regelmäßig seinen Gesundheitszustand überprüfen lässt und potenzielle Probleme erkennt, lange bevor sie ernst werden.

Die Infrarotspektroskopie in Kombination mit dem maschinellen Lernen hat nach Ansicht der Autoren das Potenzial, die Gesundheitsdiagnostik zu verändern. Mit einem einzigen Tropfen Blut und Infrarotlicht, so sagen die Forschenden, stehe ein leistungsfähiges Werkzeug zur Verfügung, die Gesundheit im Auge zu behalten, Probleme effizienter zu erkennen und die Gesundheitsversorgung weltweit zu verbessern.

» Originalpublikation

Quelle: Universität München