25.04.2024
Bakterien für klimaneutrale Chemikalien der Zukunft
Forschende an der ETH Zürich haben Bakterien im Labor so herangezüchtet, dass sie Methanol effizient verwerten können. Jetzt lässt sich der Stoffwechsel dieser Bakterien anzapfen, um wertvolle Produkte herzustellen, die die chemische Industrie derzeit aus fossilen Rohstoffen gewinnt.
Um verschiedene Chemikalien wie etwa Plastik, Farbstoffe oder künstliche Aromen herzustellen, ist die chemische Industrie derzeit auf fossile Rohstoffe wie Erdöl angewiesen. "Weltweit verbraucht sie 500 Millionen Tonnen pro Jahr, also mehr als eine Million Tonnen pro Tag", sagt Julia Vorholt, Professorin am Institut für Mikrobiologie an der ETH Zürich.
"Da die chemischen Umwandlungen sehr energieaufwändig sind, ist der CO2-Fußabdruck der chemischen Industrie sogar noch sechs bis zehn Mal größer: Er beläuft sich auf etwa fünf Prozent des gesamten weltweiten Ausstoßes." Mit ihrem Team sucht sie deshalb nach Möglichkeiten, wie sich die Abhängigkeit der chemischen Industrie von fossilen Brennstoffen verringern ließe.
Grünes Methanol
Dabei stehen Bakterien im Zentrum, die sich von Methanol ernähren, die also im Fachjargon methylotroph sind. Methanol besitzt ein einziges Kohlenstoffatom und gehört damit zu den einfachsten organischen Molekülen. Es kann aus dem Treibhausgas Kohlendioxid und Wasser hergestellt werden. Stammt die Energie für diese Synthesereaktion aus erneuerbaren Quellen, wird das Methanol als grün bezeichnet.
"Es gibt natürliche Methylotrophe, aber sie industriell zu nutzen, bleibt trotz großem Forschungsaufwand schwierig", sagt Michael Reiter, Postdoktorand in Vorholts Forschungsgruppe, die stattdessen mit dem in der Biotechnologie bestens bekannten Modellbakterium Escherichia coli arbeitet. Das Team um Vorholt verfolgt schon seit mehreren Jahren die Idee, das auf Zucker wachsende Modellbakterium mit der Fähigkeit auszustatten, Methanol biochemisch zu verwerten.
Vollständige Umstrukturierung des Stoffwechsels
"Das ist eine große Herausforderung, denn dafür braucht es eine vollständige Umstrukturierung des Stoffwechsels", sagt Vorholt. Zunächst simulierten die Forschenden diese Umstellung mit Computermodellen. Dann entfernten sie gezielt zwei Gene und schleusten dafür drei zusätzliche Gene ein. "Dadurch konnten die Bakterien das Methanol aufnehmen, wenn auch nur in geringen Mengen", sagt Reiter.
Daraufhin züchteten sie die Bakterien mehr als ein Jahr unter speziellen Bedingungen im Labor weiter, bis die Umstellung gelungen war - und die Mikroben alle Zellbestandteile aus Methanol herstellen konnten. Im Laufe von rund 1.000 weiteren Generationen wurden diese sogenannten synthetischen Methylotrophen immer effizienter, so dass sie sich schließlich alle vier Stunden verdoppelten, wenn sie ausschließlich mit Methanol gefüttert wurden. "Die verbesserte Wachstumsrate macht die Bakterien wirtschaftlich interessant", sagt Vorholt.
Optimierung durch Funktionsverlust
Wie das Team um Vorholt im veröffentlichten Fachbeitrag darlegt, sind mehrere zufällig entstandene Mutationen für die erhöhte Effizienz der Methanol-Verwertung verantwortlich. Die meisten dieser Mutationen führten zum Funktionsverlust verschiedener Gene.
Das ist auf den ersten Blick erstaunlich, bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Zellen dank des Funktionsverlustes der Gene Energie einsparen können. So bewirken etwa einige Mutationen, dass die Umkehrreaktionen von wichtigen biochemischen Reaktionen ausfallen. "Dadurch werden überflüssige Kreisläufe vermieden - und die Stoffwechselflüsse in den Zellen optimiert", schreiben die Forschenden.
Um das Potenzial der synthetischen Methylotrophen für die biotechnologische Produktion industriell relevanter Massenchemikalien auszuloten, haben Vorholt und ihr Team die Bakterien mit zusätzlichen Genen für vier verschiedene Biosynthesewege ausgerüstet. In ihrer Studie zeigen sie nun, dass die Bakterien tatsächlich in allen Fällen die gewünschten Verbindungen herstellten.
Vielseitige Produktionsplattform
Für die Forschenden ist das ein deutlicher Beleg, dass ihre hochgezüchteten Bakterien einlösen, was sie sich ursprünglich von ihnen versprochen hatten: Die Mikroben sind eine Art hochversatile Produktionsplattform, in die man nach dem "Plug-and-Play"-Prinzip Biosynthesemodule einbauen kann, die die Bakterien dazu veranlassen, das Methanol in eine beliebige biochemische Substanz umzuwandeln.
Allerdings müssen die Forschenden die Ausbeute und die Produktivität noch erheblich steigern, um eine wirtschaftlich tragfähige Verwendung der Bakterien zu ermöglichen. Vorholt und ihr Team haben kürzlich Innovationsfördermittel erhalten, "um die Pläne in Richtung Anwendung weiter auszubauen und herauszufinden, auf welche Produkte wir uns zuerst konzentrieren", sagt Vorholt.
Wenn Reiter davon erzählt, wie sich die Kultivierung der Bakterien in Bioreaktoren optimieren lässt, sprüht er vor Tatendrang. "Angesichts der Klimaerwärmung ist klar, dass es Alternativen zu fossilen Rohstoffen braucht", betont er. "Wir entwickeln eine Technologie, die kein zusätzliches CO2 in die Atmosphäre entlässt", sagt Reiter. Und da die synthetischen Methylotrophen außer dem grünen Methanol keine weiteren Kohlenstoffquellen für ihr Wachstum und ihre Produkte benötigten, erlaubten sie es, "erneuerbare Chemikalien herzustellen, die die Umwelt nicht belasten".
Quelle: ETH Zürich