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14.11.2024

19.12.2019

Mit Hochdruck: Tiefer Erdmantel im Labor untersucht

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Mit Hochdruck wie in 2700 Kilometern Tiefe hat ein internationales Forscherteam neue Einblicke in die Eigenschaften des häufigsten Minerals der Erde gewonnen: Die Messungen zeigen, wie sich Bridgmanit an der Grenze zum Erdkern in sogenanntes Post-Perowskit umwandelt.

Beide besitzen dieselbe chemische Zusammensetzung, aber einen unterschiedlichen inneren Aufbau. Da Bridgmanit der Hauptbestandteil des Erdmantels ist, hat diese Struktur-Umwandlung erhebliche Auswirkungen auf die Dynamik im unteren Erdmantel, einschließlich der Ausbreitung von Erdbebenwellen.

Die Untersuchungen an der Extreme Conditions Beamline von DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III können bestimmte irreguläre seismische Beobachtungen erklären, wie das Team unter Leitung von Sébastien Merkel von der Universität Lille (Frankreich) im Fachblatt "Nature Communications" berichtet.

Bridgmanit ist ein Magnesium-Eisen-Mineral (Mg,Fe)SiO3, das unter Normalbedingungen nicht stabil ist. Es bildet sich erst bei hohen Drücken in etwa 660 Kilometern unter der Erdoberfläche. Die einzigen je an der Oberfläche entdeckten Proben sind mikrokristalline Einschlüsse in Meteoriten. "Um Bridgmanit unter den Bedingungen des unteren Erdmantels untersuchen zu können, mussten wir das Mineral zuerst produzieren", erklärt Merkel. Dazu komprimierten die Wissenschaftler winzige Mengen Eisen-Magnesium-Silizium-Oxid in einer Diamantstempelzelle. Mit dieser Apparatur lassen sich Proben mit extrem hohem Druck zwischen zwei kleinen ultrastabilen Diamantstempeln zusammenpressen.

Das auf diese Weise frisch produzierte Bridgmanit setzten die Forscher dann direkt noch stärker unter Druck: Bei 1,2 Megabar - das entspricht rund 1,1 Millionen Mal dem Luftdruck auf Meereshöhe - erreichten sie die Bedingungen, die in der untersten Schicht des Erdmantels knapp über dem Kern herrschen. An dieser Schicht werden seismische Wellen auf ihrer Reise durch das Erdinnere reflektiert. Aus der Messung solcher seismischen Wellen können Forscher Einblicke ins tiefe Erdinnere bekommen. Die Art und Weise, wie die Wellen reflektiert werden, hängt allerdings von den Eigenschaften des jeweiligen Materials ab, auf das sie treffen. "Seismische Wellen verhalten sich in dieser Region manchmal merkwürdig", berichtet Merkel. "Manchmal sieht man starke Reflexionen, und manchmal sieht man gar nichts."

In der Forschung wird seit langem vermutet, dass eine Strukturänderung von Bridgmanit ein wichtiger Teil der Erklärung für dieses ungewöhnliche Verhalten der seismischen Wellen ist. Diese Strukturänderung führt zu unterschiedlichen Eigenschaften des Magnesium-Eisen-Minerals. "Wir wissen seit 15 Jahren, dass sich Bridgmanit unter diesen Bedingungen in eine andere Kristallstruktur namens Post-Perowskit umwandelt", erklärt Merkel. "Was wir bisher nicht wussten, war, wie schnell es das tut."

An der Extreme Conditions Beamline P02.2 konnten die Wissenschaftler nun die Dynamik der Transformation untersuchen. Es stellte sich heraus, dass sich die Umwandlung je nach Druck und Temperatur in etwa 10 bis 10 000 Sekunden vollzieht. In diesen Bereich fallen auch die Frequenzen seismischer Wellen. "Das bedeutet, dass seismische Wellen die Transformation auslösen können und damit das seismische Signal verstärken", betont Merkel. "Diese Beobachtung erklärt, warum manchmal starke Reflexionen zu sehen sind und manchmal nicht. Und sie könnte auch weitere Anomalien erklären."

Die Mantel-Kern-Grenze in etwa 2900 Kilometern Tiefe verhält sich nicht so eindeutig wie eine glatte Spiegeloberfläche. Stattdessen bewegen sich in einem Bereich etwa 200 Kilometer über dem Kern, der als D"-Schicht bezeichnet wird, große Platten aus unterschiedlichem Material mit unterschiedlichen Strukturen. "Man kann sich dort unten eine Art zweite Plattentektonik vorstellen", erläutert Merkel. Außerdem können in einer etwa 100 Kilometer dicken Grenzschicht Konditionen herrschen, unter denen Bridgmanit und Post-Perowskit nebeneinander existieren, was dann die Analyse seismischer Signale erschwert.

Je mehr Details über die physikalischen Eigenschaften des Materials an der Mantel-Kern-Grenze bekannt sind, desto besser kann die Analyse seismischer Wellen aus diesem Bereich gelingen. Dies hilft nicht nur, die Grenzregion selbst zu untersuchen, sondern auch viele andere Regionen im Erdmantel, da seismische Wellen alle seine Schichten auf ihrem Weg durchqueren. "Je besser wir über die Materialeigenschaften an der Kern-Mantel-Grenze kennen, desto schärfer blicken wir ins Erdinnere", betont Merkel.

An der Arbeit waren die Université de Lille, die Université Clermont Auvergne, die Universität Münster, die Université Lyon, das Institut Universitaire de France und DESY beteiligt.

» Originalpublikation

Quelle: Deutsches Elektronen-Synchrotron (DESY)