08.02.2024
Elektronenblasen aus Röntgenlaserdaten modelliert
Was passiert, wenn Strahlung auf Wasser trifft? Diese Frage ist sehr grundlegend, zum Beispiel wenn man beim Arzt geröntgt wird, denn wir selbst bestehen zum größten Teil aus Wasser. Ein Team von theoretischen Physikern bei DESY hat jetzt Daten ausgewertet, die von Kollegen des Argonne National Laboratory in den USA am Röntgenlaser LCLS in Kalifornien aufgenommen wurden, um eine bessere Antwort auf diese Frage zu finden.
Ihre Ergebnisse könnten eine Kontroverse in der Physik über das Vorhandensein freier Elektronen im Wasser und ihr Verhalten auf sehr kurzen Zeitskalen beenden: Sie besagen, dass Elektronen, die nicht an Atome gebunden sind, in Blasen in käfigartigen Strukturen zwischen einzelnen Wassermolekülen eingeschlossen werden. Diese Ergebnisse wurden jetzt im "Journal of the American Chemical Society" veröffentlicht.
Freie Elektronen sind Elektronen, die nicht an Atome gebunden sind. In Wasser können freie Elektronen aus den Wassermolekülen herausgeschlagen werden, wenn diese durch die Strahlung ionisiert werden. Wie sich die Elektronen in dieser Situation zwischen den Wassermolekülen bewegen, ist unter Wissenschaftlern schon seit langem ein Thema.
Bei ihrer Arbeit am LCLS am SLAC National Accelerator Laboratory entdeckte das Experimentierteam unter der Leitung der Argonne-Wissenschaftlerin Linda Young merkwürdige Signalevon Wassermolekülen, die durch Laser angeregt und durch den Röntgenlaser abgebildet wurden. Mit Hilfe der Röntgenabsorptionsspektroskopie fanden sie Strukturen zwischen den Molekülen. Um ihre Ergebnisse besser interpretieren zu können, wandte sich das Experimentierteam an theoretische Physiker in Hamburg.
Ein Team um den DESY-Wissenschaftler Ludger Inhester vom Center for Free-Electron Laser Science untersuchte die Daten und begann in Abstimmung mit dem Experimentierteam, Modelle aus den Daten zu erstellen. Gemeinsam zeigen sie, dass die freien Elektronen im Wasser Blasenstrukturen bilden, die dann von Wassermolekülen eingeschlossen werden, ähnlich wie Chemikalien auf molekularer Ebene in Wasser gelöst werden. Insbesondere gelang es dem DESY-Team, den Prozess hinter dieser Auflösung der Elektronen im Wasser und seine Parameter aufzuzeigen.
"Es stellte sich heraus, dass der Auflösungsprozess und damit die Bildung der Käfigstrukturen bemerkenswert empfindlich auf Temperaturänderungen im Wasser reagiert", sagt Arturo Sopena, Erstautor der Studie. Die neuen Erkenntnisse über den Auflösungsprozess zeigen, dass das Elektron, das sich zunächst großräumig zwischen den Wassermolekülen aufhält, an spezifische Wasserstoffbrückenbindungsmuster andockt, die im molekularen flüssigen Wasser auftreten, und sich dann tiefer in einen sehr engen Bereich innerhalb der Wasserstruktur "eingräbt". Dieses "Eingraben" und die damit verbundene Neuausrichtung der benachbarten Wassermoleküle erfolgt bemerkenswert schnell und ist innerhalb von 100 Femtosekunden abgeschlossen, wobei eine Femtosekunde der billiardstel Teil einer Sekunde ist. Die Blase, die etwa 50 Milliardstel Meter breit ist, löst sich innerhalb von wenigen Pikosekunden, also Billionstel einer Sekunde, auf.
"Wie reagiert Wasser, wenn es Strahlung ausgesetzt wird? Das ist eine entscheidende Frage", sagt Inhester. "Dies sind die ersten chemischen Reaktionsschritte, die durch die Strahlung ausgelöst werden und die auch die nachfolgende Strahlenchemie bestimmen, die auch für biologisches Material gilt."
Die neuen Arbeiten wurden auch im Rahmen des Exzellenzclusters CUI: Advanced Imaging of Matter an der Universität Hamburg durchgeführt. Die neuen Erkenntnisse geben weitere Einblicke in das Verhalten von Strahlenschäden durch ionisierende Strahlung in Wasser. Diese wasserrelevante Forschung soll im entstehenden Centre for Molecular Water Science CMWS, das in internationaler Kooperation auf dem DESY-Campus entsteht, weiter intensiviert werden.
Quelle: Deutsches Elektronen-Synchrotron (DESY)