16.01.2025
Anwendung der Cox-Merz-Regel: Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung
Dr. Claire Strasser , NETZSCH Gerätebau GmbH
Bei einer viskosimetrischen Messung wird die Scherviskosität eines Materials bestimmt. Dazu wird eine Probe zwischen zwei Platten eingebracht. Die obere Platte rotiert mit einer definierten Scherrate (oder Schubspannung), siehe Abbildung 1.
Die Scherrate wird anhand der Winkelgeschwindigkeit V der oberen Platte sowie des Abstands h zwischen beiden Platten bestimmt. Die für die Erzeugung dieser Scherrate benötigte Schubspannung wird aufgrund des aufgebrachten Drehmoments F berechnet.
Solch eine Messung kann, wie oben erläutert, scherratengeregelt oder schubspannungsgeregelt durchgeführt werden. In diesem Fall wird eine Schubspannung aufgebracht und die Scherrate bestimmt. Unabhängig von der Steuerungsart ist die Bestimmung der Scherviskosität mit folgender Gleichung möglich:
η: Scherviskosität [Pa · s]
σ: Schubspannung [Pa]
ý: Scherrate [s1-]
- Abb.1: Rotationsmessung: Die obere
Platte dreht sich mit definierter
Geschwindigkeit und erzeugt ein
Scherprofil über den Messspalt
In Abbildung 2 ist ein Beispiel für dieses Verhalten dargestellt. Hier wurde eine Polymerschmelze (PEEK) in Rotation zwischen 0,1 und 100 s-1 gemessen. Die Abnahme der Schubspannung bei 50 s1- deutet darauf hin, dass die Probe herausgedrückt wurde, da die Schubspannung an diesem Punkt abzufallen beginnt. Daher sind die Viskositätswerte oberhalb dieser Scherrate ungültig und nicht repräsentativ für die Probe.
Abb.2: Rotationsmessung an PEEK bei 360 °C
(Geometrie CP2/25, Messspalt: 70 μm, Temperatur: 360 °C, Scherraten: 0,1 bis 100 s-1).
Wie erhält man die Scherviskosität bei höheren Scherraten?
- Abb.3: Oszillationsmessung: Die obere
Platte oszilliert bei definierter Frequenz und
Dehnungs- (oder Spannungs-) Amplitude
Was ist die komplexe Scherviskosität?
Die komplexe Viskosität wird durch eine Oszillationsmessung erhalten. In diesem Test rotiert die obere Geometrie nicht mehr, sondern oszilliert bei einer definierten Frequenz (Abbildung 3).
Der Unterschied (Verzögerung/Phase δ) zwischen dem sinusförmigen Eingangs- und Ausgangssignal definiert die Materialeigenschaften der Probe (Abbildung 4). Diese Messungen werden bei Amplituden durchgeführt, die klein genug sind, um die Probenstruktur nicht zu zerstören, sodass die aufgebrachte Dehnung und die daraus resultierende Spannung proportional sind und die Frequenz des Antwortsignals gleich der Einfangsfrequenz ist.
Durch diese Prüfung lassen sich die viskoelastische Eigenschaften des Materials, z.B. seine Steifigkeit, angegeben durch den sogenannten komplexen Modul G*, bestimmen. Die komplexe Viskosität η* ist:
- Abb.4: Eingangs- und Ausgangssignal
während eines Oszillationstests
η*: komplexe Viskosität [Pas · s]
G*: komplexer Modul [Pa]
ω: Winkelfrequenz [rad · s1-]
Komplexe Viskosität und Scherviskosität: Die Cox-Merz-Regel
Die Cox-Merz-Regel lässt sich aufgrund des folgendes Verhältnisses zusammenfassen:
In Worten ausgedrückt bedeutet dies, dass das Ergebnis der Scherviskosität in Abhängigkeit von der Scherrate (erhalten durch Rotation) dem Ergebnis der komplexen Viskosität in Abhängigkeit von der Winkelfrequenz (erhalten durch Oszillation) entspricht.
Daher ist es möglich, die Scherviskosität für Scherraten zu erhalten, die über dem Grenzwert einer Rotationsmessung liegen, der bei dem hier vorgestellten Beispiel bei 50 s-1 lag.
Abbildung 5 zeigt die Ergebnisse der Rotations- und Oszillationsmessung für die PEEK-Probe, aufgetragen in Abhängigkeit von der Scherrate und Winkelfrequenz auf derselben Skalierung. Üblicherweise werden solche Kurven nur in Abhängigkeit von der Scherrate mit einem Hinweis auf die Cox-Merz-Regel dargestellt. Die in Abbildung 5 illustrierten Ergebnisse zeigen, dass die komplexe Viskosität und Scherviskosität im unteren Scherratenbereich gut übereinstimmen. Bei höheren Scherraten erhält man einen genaueren Wert der Scherviskosität durch Anwendung der Cox-Merz-Regel auf die komplexe Viskosität (orange Linie). Der stärker ausgeprägte Rückgang der Scherviskosität (blaue Linie) ist, wie oben erläutert, auf das Herausdrücken der Probe zurückzuführen.
Abb.5: Rotation (blau) und Oszillation (orange) Messung an PEEK
(Rotation: Geometrie: CP2/25, Messspalt: 70 μm, Temperatur: 360 °C, Scherraten: 0,1 bis 100 s-1
Oszillation: Geometrie: PP25, Messspalt: 500 μm, Temperatur: 360 °C, Frequenz: 0,1 bis 300 rad/s; Schubspannung: 500 Pa)
Zusammenfassung
Das dargestellte Beispiel zeigt eine gute Übereinstimmung zwischen Scherviskosität und komplexer Viskosität im niedrigen Scherratenbereich. Beginnt das Material während der Rotation aus dem Spalt zu fließen, lässt sich die Viskosität durch diese Art von Messung nicht mehr bestimmen. Wendet man jedoch die Cox-Merz-Regel an, können Scherviskositätswerte mittels Oszillationsmessung bestimmt werden.