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03.12.2024

08.08.2022

Stickstoff bildet unter Hochdruck äußerst ungewöhnliche Strukturen


Forschenden der Universitäten Bayreuth und Linköping haben unter sehr hohem Druck zwei überraschende Verbindungen aus Stickstoff und dem Seltenerdmetall Yttrium hergestellt. Die neuen Polynitride enthalten ring- und spiralförmige Kristallstrukturen von Stickstoff, die bislang weder in Experimenten beobachtet noch in theoretischen Berechnungen vorhergesagt wurden.

Sie sehen weit verbreiteten Strukturen von Kohlenstoffverbindungen ähnlich. Die in der Zeitschrift "Angewandte Chemie" beschriebenen Hochdrucksynthesen zeigen: Die Vielfalt möglicher Stickstoffverbindungen und ihrer Strukturen ist weitaus größer, als das Verhalten von Stickstoffatomen unter normalen Bedingungen erwarten lässt.

Die Zahl der in der Natur vorkommenden Stickstoffverbindungen ist, verglichen mit der strukturellen Vielfalt von Kohlenstoffverbindungen, sehr gering. Dies liegt vor allem daran, dass Stickstoffatome bei normalem Umgebungsdruck äußerst stabile Dreifachbindungen eingehen. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich aber gezeigt, dass sich die Chemie des Stickstoffs unter sehr hohen Drücken erheblich verändert.

Forschungsteams der Universität Bayreuth haben unter der Leitung von Prof. Dr. Natalia Dubrovinskaia und Prof. Dr. Leonid Dubrovinsky neuartige Stickstoffverbindungen (Nitride) synthetisiert, die ungewöhnliche Strukturen aufweisen und in einigen Fällen technologisch sehr attraktive Eigenschaften - wie beispielsweise eine sehr hohe Energiedichte oder eine außerordentliche Härte - besitzen. An diese Forschungsarbeiten knüpft die jetzt veröffentlichte Studie an.

Die beiden neuen Yttrium-Nitride, YN6 und Y2N11, wurden in einer laserbeheizten Diamant-Stempelzelle erzeugt: Bei einem Kompressionsdruck von 100 Gigapascal (eine Million mal höher als der Druck der Erdatmosphäre) und bei einer Temperatur von rund 2.700 Grad Celsius kam es zu chemischen Reaktionen zwischen Yttrium- und Stickstoffatomen, die zu den neuen Verbindungen führten. Die Kristallstrukturen von YN6 und Y2N11 weisen einzigartige Anordnungen von Stickstoffatomen auf:

  • YN6-Kristalle enthalten flächige, symmetrisch aufgebaute Ringstrukturen, die als Makrozyklen bezeichnet werden. In jedem dieser Zyklen ist ein Yttriumatom von 18 sternförmig angeordneten Stickstoffatomen umgeben. Weitere Yttriumatome sorgen dafür, dass die Makrozyklen stabil übereinander liegen.
  • Y2N11-Kristalle wiederum enthalten zwei spiralförmige Ketten von Stickstoffatomen, die zusammen eine Doppelhelix bilden. Eine derartige Struktur kommt im Bereich der anorganischen Chemie sehr selten vor. Die jetzt entdeckte polynitrogene Doppelhelix eignet sich möglicherweise als Blaupause für die Synthese weiterer anorganischer Spiralstrukturen.
Entscheidend für den Nachweis dieser sehr ungewöhnlichen Strukturen waren neueste Techniken der Hochdruck-Synchrotron-Einzelkristall-Röntgenbeugung. Sie ließen unter anderem erkennen, dass die Stickstoffatome in den neuen Kristallstrukturen untereinander durch kovalente Bindungen verbunden sind, während es zwischen den Stickstoff- und den Yttriumatomen keine kovalenten Bindungen gibt.

"In der organischen Chemie sind ring- und spiralförmige Kohlenstoffverbindungen von zentraler Bedeutung. Die wenigen bisher bekannten Polynitride, in denen Stickstoffatome derartige Strukturen bilden, sind durchweg anorganische Verbindungen. Unsere Hochdrucksynthese von Y2N11 ist aber ein erneuter Beleg dafür, dass Stickstoff grundsätzlich das Potenzial hat, solche Struktureinheiten zu bilden", sagt Andrii Aslandukov, Erstautor der neuen Veröffentlichung und Doktorand im Forschungsteam von Prof. Dr. Leonid Dubrovinsky am Bayerischen Geoinstitut (BGI) und Prof. Dr. Natalia Dubrovinskaia im Laboratorium für Kristallographie der Universität Bayreuth.

"Zusammen mit unseren Partnern an der Universität Linköping werden wir an der Universität Bayreuth die Forschung an solchen Stickstoffverbindungen weiter vorantreiben. Möglicherweise sind wir in der Hochdruckforschung nicht mehr weit davon entfernt, Polynitride zu synthetisieren, die eine heute noch ungeahnte strukturelle Vielfalt aufweisen. Dies wäre der Beginn eines neuen Zweigs der Chemie: der organischen Stickstoffchemie unter hohen Drücken", erklärt Prof. Dubrovinskaia.

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Quelle: Universität Bayreuth