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07.12.2024

13.01.2022

Algenzucker als CO2-Speicher identifiziert


Wer sich für den Klimawandel interessiert, wer verstehen will, wie Algen in Ozeanen Kohlenstoff binden, muss sich mit Zucker beschäftigen. Davon ist Prof. Dr. Jan-Hendrik Hehemann überzeugt. Der Glykobiochemiker und seine Arbeitsgruppe in der U Bremen Research Alliance forschen seit Langem an Mehrfachzuckern, den Polysacchariden - mit bahnbrechenden Ergebnissen.

Die Forschenden haben in Algen einen Zucker entdeckt, der Kohlenstoff speichert, in die Tiefsee transportiert und dort womöglich lagert. "Viele stellen sich Zuckerverbindungen als einfach verdaubare Energiequellen vor. Jetzt zeigen wir: Es gibt marine Algenzucker, die von Bakterien und anderen Organismen nicht oder nur schwer verdaut werden können, sich anreichern und somit Kohlenstoff binden. Das ist ein Paradigmen-wechsel, das finde ich toll."

Der 42-Jährige spricht von sulfatiertem Fukan, einem einzelnen Polysaccharid. Mehrfachzuckerverbindungen werden von Algen mittels Fotosynthese gebildet. Wie Pflanzen an Land binden Mikroalgen im Meer den Kohlenstoff aus der Atmosphäre. Der Beitrag der winzigen Einzeller zum Klima ist enorm: sie erzeugen nicht nur die Hälfte unseres Sauerstoffs, sie binden auch gut die Hälfte des vom Menschen freigesetzten Kohlenstoffs und wandeln mehr Kohlendioxid in Biomasse um als die tropischen Regenwälder.

Die Lebensspanne der Algen allerdings ist kurz. Attackiert von Bakterien und Enzymen, geben sie den gespeicherten Kohlenstoff in einem ewigen Kreislauf wieder an die Atmosphäre ab. Manche Partikel allerdings widerstehen dem Angriff der Bakterien. Sie schließen sich zusammen, werden dadurch schwer, sinken langsam zum Meeresboden und nehmen den Kohlenstoff mit. Bei dieser biologischen Pumpe spielt Zucker eine wichtige Rolle.

"Von einem Großteil des alljährlich von Menschen freigesetzten Kohlendioxids wissen wir nicht, wo es abbleibt", erläutert der Grundlagenforscher. "Es wird angenommen, dass viel im Meer verschwindet. Vielleicht tragen die Mehrfachzuckerverbindungen dazu bei, einen Teil dieses Kohlenstoffs zu versenken. Denn wenn Moleküle schwierig abzubauen sind, haben sie ein tolles Potenzial als Kohlenstoffspeicher."

Hehemann hat sich schon im Leistungskurs Chemie an einer Hamburger Schule mit Zucker beschäftigt. Ein Großteil der Pflanzenmasse besteht aus Zucker, in Mikroalgen sind es manchmal 50 Prozent und mehr. "Mehrfachzucker in Mikroalgen sind komplizierte Moleküle. In ihnen zeigt die Natur ihre Diversität, es gibt die unterschiedlichsten Verbindungen in einer enorm großen Zahl", erklärt der Wissenschaftler seine Faszination an den Verbindungen. Ein einzelnes Bakterium ist nicht in der Lage, marine Polysaccharide zu verwerten. Sie tun sich zusammen, bilden Teams und nutzen die unterschiedlichsten Enzyme, um die vielen verschiedenen Mehrfachzucker zu verwerten.

Nur folgerichtig war es also, dass sich Hehemann auch in seiner Doktorarbeit an der Université Pierre et Marie Curie in Paris mit zuckerspaltenden Enzymen auseinandersetzte. Es folgten weitere Stationen im Ausland, neun Jahre insgesamt, an der University of Victoria in Kanada und am Massachusetts Institute of Technology. 2015 schließlich zog es ihn nach Bremen. Warum? "Weil hier Menschen, die sowohl an Biochemie als auch an der Meeresforschung interessiert sind, auf hohem Niveau eng und engagiert zusammenarbeiten."

Der Wissenschaftler übernahm die Leitung der neu gegründeten Brückenarbeitsgruppe "Marine Glykobiologie", die gemeinsam vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie (MPIMM) und vom MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen betrieben wird. Die beiden Mitglieder der U Bremen Research Alliance arbeiten seit Langem eng zusammen. "Das Max-Planck-Institut hat eine fantastische mikrobiologische Expertise, das MARUM besonders viel Erfahrungen mit großskaligen Prozessen wie der biologischen Kohlenstoffpumpe", schwärmt Hehemann. Weltweit ist die Arbeitsgruppe die erste, die Zuckerverbindungen im Meer gezielt identifiziert und quantifiziert, um somit ihre Rolle im Kohlenstoffkreislauf zu erfassen.

2016 startete "POMPU" - ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt, das zum Ausgangspunkt der aktuellen Erkenntnisse geworden ist. Darin geht es um die alljährlich wiederkehrende Algenblüte vor Helgoland. In Küsten-regionen aller Weltmeere finden massive Algenblüten statt, die enormen Mengen an Algen-Biomasse werden durch marine Bakterien sehr schnell recycelt. Wie aber genau funktioniert dieser Prozess? Und welche Rolle spielen dabei die Mehrfachzucker?

"Das wollten wir verstehen lernen, und zwar im Detail, auf molekularer Ebene", erzählt Hehemann. Ein interdisziplinäres Team von Forschenden hat die vor Helgoland genommenen Wasserproben im Labor untersucht - mit neuen, innovativen biochemischen Verfahren, die die Arbeitsgruppe speziell hierfür entwickelt hat. Sie extrahieren die Zuckermoleküle aus den Wasserproben und identifizieren sie mithilfe von Antikörpern, die die Strukturen nachweisen können. "Wir sind die Ersten, die bestimmte Polysaccharide im Meer identifizieren und in molekularer Auflösung untersuchen", sagt Hehemann.

In einem zweiten Verfahren nutzen die Forschenden Bakterien und deren Verdauungsenzyme als Lehrmeister. Jedes Bakterium hat eigene Enzyme, die die komplexen Zuckerverbindungen in einfache umwandeln. Diese wiederum sind, ähnlich wie bei einem Diabetes-Test, einfacher zu messen und zu quantifizieren. Die Enzyme stellt die Arbeitsgruppe selbst her. Bakterien und Enzyme zu verwenden, um den marinen Kohlenstoffkreislauf zu analysieren - auch das ist ein neuer Ansatz.

"Wir konnten zum Beispiel feststellen, dass ein bestimmtes Polysaccharid, nämlich Laminarin, in unglaublichen Mengen im Meer produziert wird und fast zehn Prozent der globalen Kohlendioxidproduktion bindet", erzählt Hehemann, der von der DFG inzwischen mit einer Heisenberg-Professur gefördert wird. Mit ihr unterstützt die Deutsche Forschungsgemeinschaft exzellente Forschung und außerordentliche Leistungen.

Zuckerverbindungen als Transporteure des Kohlenstoffs in die Tiefsee sind also identifiziert. Was kommt als Nächstes? Daten möchte Prof. Dr. Jan-Hendrik Hehemann erheben, möglichst viele Daten. Wie viele Zuckerpartikel werden produziert, wie viele sinken ab, wie viel Kohlenstoff wird am Boden des Meeres tatsächlich gespeichert? "Wenn man eine Zahl hat, hat man einen Referenzpunkt." Der Wissenschaftler will deshalb zudem Seesedimente im internationalen Bohrkernlager am MARUM untersuchen. Denn wenn bestimmte Mehrfachzucker schwer abzubauen sind, müssten sie sich auf dem Grund des Meeres wiederfinden. "So könnte man etwa auch Regionen identifizieren, die sich besonders gut als Kohlenstoffspeicher eignen."

Und noch ein zweiter Forschungsansatz interessiert ihn: die Nutzung der biologischen Funktion der Mehrfachzucker. Wenn sie die Kraft aufbringen, Viren und Bakterien abzuwehren, könnten sie vielleicht sogar als Schutz für den Menschen genutzt werden. Das, meint er, würde sich doch zu überprüfen lohnen.

Quelle: Universität Bremen