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30.06.2024

07.07.2014

Neue Konzepte zur Übertragung mikrobieller Reaktionen vom Labor- in den Industriemaßstab

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Biotech-Forschung soll die mikrobielle Produktion im Industrie-Maßstab verbessern, sie rentabler und wettbewerbsfähiger machen. Daten aus dem Labormaßstab können jedoch nicht so einfach eins zu eins auf die Großproduktion übertragen werden. Mit neuen systembiologischen Konzepten zur Simulation der Großproduktion soll dies nun besser gelingen.

Das BMBF sieht in der Systembiologie als Brücke zwischen Laborexperiment und mathematischem Modell eine förderwürdige Basistechnologie der Lebenswissenschaften. Deshalb hat das Bundesministerium den "e:Bio - Innovationswettbewerb Systembiologie" ins Leben gerufen. Eine Gruppe aus Stuttgarter und Tübinger Wissenschaftlern überzeugte mit einem Antrag zum Scale-up mikrobieller Produktionsprozesse und wird seit Anfang 2013 für drei Jahre mit 2,1 Mio Euro vom BMBF unterstützt.

Koordiniert wird das Verbundprojekt von Prof. Dr.-Ing. Ralf Takors vom Institut für Bioverfahrenstechnik IBVT der Universität Stuttgart. Er erklärt, warum das Thema für die Biotech-Industrie so wichtig ist: "Forschung findet stets in kleinem Maßstab in Laborsystemen statt. Typischerweise halten wir Mikroorganismen in Laborreaktoren mit einem Volumen von unter einem bis wenigen Litern. Die Fermenter in der industriellen Produktion haben jedoch ein Fassungsvermögen von 500- bis 700.000 Litern und mehr. Wenn wir mit unserer Forschung die Bioproduktion verbessern wollen, können wir die Ergebnisse aus dem Labor nun nicht einfach eins zu eins übertragen. Bei einer 500.000- bis millionenfachen Maßstabsübertragung muss eine ganze Reihe von biologischen, chemischen und physikalischen Einflussfaktoren berücksichtigt werden. Mit unserem Projekt wollen wir die Auswirkungen auf die Zellen systemisch untersuchen und erstmals biologisch motivierte Kriterien für eine erfolgreiche Maßstabsvergrößerung formulieren."

Mit umfassendem Pool an Biodaten die maßstabsbedingte Schieflage begradigen

Vom Standpunkt der Zellen aus betrachtet ändert sich eine ganze Menge, wenn sie vom überschaubaren Lebensraum eines Laborreaktors in einen Produktionsreaktor wechseln. "In einem zehn Meter hohen Reaktor mit einem Durchmesser von sieben bis acht Metern sind die Zellen trotz Rühren immer ungleich verteilt. In dieser Heterogenität müssen sie länger stabiler wachsen", sagt Takors. Einfach stärker umzurühren ist leider keine Lösung - allein schon aus praktischen Gründen können die dazu benötigte Energie und Technik nicht ins System eingebracht werden. Auch physikalische Gesetzmäßigkeiten fördern das Ungleichgewicht. So verändert sich im Reaktor aufgrund des zunehmenden Drucks von oben nach unten die Löslichkeit von Gasen. Im unteren Bereich sind zum Beispiel mehr Sauerstoff und Kohlendioxid gelöst als oben. Hinzu kommt der Wärmegradient. Ein größerer Reaktor hat im Verhältnis zu seinem Volumen eine kleinere Oberfläche. Deshalb wird weniger Wärme über die Außenhaut des Reaktors abgeführt und im Inneren ist es signifikant wärmer als in der Nähe der Reaktorhülle. All diese Einflüsse wirken sich auf das Leben der Mikroorganismen und damit auf ihre Produktionsleistung aus.

Im Rahmen des e:Bio-Projekts "RecogNice" (Modeling Regulation of Carbon, Oxygen and Nitrogen in Large-Scale Processes with E. coli) konzentrieren sich die Forscher auf drei Stoffe, die für den Metabolismus der lebenden Minifabriken besonders wichtig sind, nämlich gelöster Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff. Untersucht wird, wie sich die Ungleichverteilung dieser Stoffe im Reaktor auf die Zellen auswirkt. Als Versuchsorganismus dient E. coli, da dieses Bakterium sowohl in der Wissenschaft als auch bei der Produktion von medizinischen Wirkstoffen und Wertstoffen wie Feinchemikalien weit verbreitet ist.

"Am IBVT untersuchen wir speziell die regulatorischen Antworten der Zellen auf Kohlenstoff- und Stickstoffgradienten und was das für Auswirkungen auf ihr Leistungsprofil hat", so Takors. Seine Partner um Prof. Dr.-Ing. Oliver Sawodny vom Stuttgarter Institut für Systemdynamik (ISYS) untersuchen die Regulationsantworten auf gelöste Sauerstoffgradienten. Die Ergebnisse sollen realistischere Maßstabsübertragungen ermöglichen, um die Bioproduktion und damit die wirtschaftliche Ausbeute zu optimieren. "Dazu müssen wir ganz detailliert in die Zelle hinein schauen, die regulatorischen Vorgänge auch quantitativ verstehen", so Takors.

Experimentelle und Computerdaten dienen vereint der Produktionsoptimierung

Hier kommen die Tübinger Projektpartner ins Spiel. Prof. Dr. Michael Bonin und sein Team vom Institut für Medizinische Genetik und angewandte Genomik des Universitätsklinikums Tübingen erhalten Probenmaterial aus den Experimenten der Stuttgarter Forscher und analysieren, unter welchen Bedingungen die Zellen welche Proteine in welchen Mengen herstellen. Dazu sequenzieren die Tübinger systemweit, also aus den gesamten Zellen die Art und Menge der von der DNA abgelesenen mRNA. Sie ist das Transkript, das als Botenstoff die "Bauanleitung" für die Proteinherstellung in der Zelle liefert. Je häufiger ein bestimmtes Gen abgelesen wird, je mehr entsprechende mRNA-Moleküle sind unterwegs und je mehr Proteine des entsprechenden Typs entstehen.

Die gesamte mRNA wird mithilfe des "Next Generation Sequenzing" analysiert, einer äußerst effizienten Hochdurchsatz-Technologie. Die Sequenzierungen liefern quantitative Informationen, wievielfach ein Gen unter bestimmten Bedingungen in der Zelle abgelesen wird. In kurzer Zeit entstehen so enorme Datenmengen, die natürlich noch entsprechend aufbereitet werden müssen. Das ist die Domäne der Bioinformatiker im Projekt: "Wir nutzen sowohl eine kommerzielle Plattform zur Datenanalyse als auch öffentlich zugängliche Public-Domain-Software", sagt Takors. Anhand der so gewonnenen Daten und ihrer Interpretationen kann dann im Labor die Großproduktion experimentell simuliert werden. Dafür wurde am IBVT eine spezielle Versuchseinrichtung mit einem Laborreaktor aufgebaut, dem ein Bypass zugeschaltet werden kann. Damit lassen sich unterschiedliche Verweildauern der Zellen im Großreaktor und unterschiedliche Stoffgradienten nachahmen. Daraus wiederum werden die Forschungsdaten generiert, mit denen die Bioproduktion optimiert werden soll.

Um die Scale-up-Effekte aus den experimentellen Simulationen qualitativ und quantitativ nachweisen zu können, ist die Gruppe um Prof. Dr. Georg Sprenger vom Stuttgarter Institut für Mikrobiologie beteiligt. Die Mikrobiologen liefern das Know-how im Umgang mit Reportergenen. Diese werden so in das Genom der Bakterien integriert, dass sie zur Produktion fluoreszierender Proteine führen. "Damit verfügen wir über ein gut detektierbares Signal, das schnell entsteht und auch schnell wieder abgebaut wird", so Takors. Das Ganze kann so gesteuert werden, dass nur bestimmte, besonders interessante regulatorische Proteine angezeigt werden, die zum Beispiel an kritischen Regulationsmechanismen beteiligt sind. Sind diese unerwünscht, weil sie zu einer geringeren Produktionsrate führen, könnten sie in Zukunft gezielt biotechnologisch eliminiert oder zumindest gezielt beeinflusst werden.

Quelle: © BIOPRO Baden-Württemberg GmbH