27.03.2014
Otto Bayer-Preis für molekülspektroskopische Forschungsarbeiten über Rydberg-Zustände verliehen
Für seine Grundlagenforschung in Molekülspektroskopie erhielt Frédéric Merkt, Professor für Physikalische Chemie, eine Vielzahl von Preisen. Dabei begann seine Forscherkarriere mit Glück im Unglück.
Ein Moment der Unaufmerksamkeit stellte die Weichen im Leben von Frédéric Merkt, Professor für Physikalische Chemie. Als er sich für ein Medizinstudium einschreiben wollte, saß er just am einzigen Tag, da dies möglich war, im Arrest beim Militär. "Ich hatte Teile meiner Ausrüstung verloren und musste den Tag in der 'Kiste' sitzen, der für das Einschreiben vorgesehen war", erinnert er sich, nach all den Jahren noch immer etwas peinlich berührt.
Seine Wunschuniversität in Neuenburg, wo er auch seine Matur abgelegt hatte, und andere Schweizer Universitäten reagierten auf seine verspätete Anmeldung wenig kulant. "Nur die ETH machte eine Ausnahme und nahm mich noch auf", sagt Merkt. Der 47-Jährige in seinem mit Fachliteratur vollgestopften Büro lächelt viel, so auch jetzt, wenn er an dieses kleine Missgeschick vor seinem Studium zurückdenkt.
Das Problem war, dass die ETH damals wie heute kein Medizinstudium anbietet. "Ich überlegte, was der Medizin wohl am ähnlichsten wäre, und entschied mich für Chemie." Im Rückblick ist, was sich wie ein Unglück anhört, pures Glück. Denn der Chemie blieb er treu. Ebenso der ETH: sieben Jahre nach seinem abgeschlossenen Chemiestudium kehrte er als Assistenzprofessor zurück und hat seit 1999 eine Professur für Physikalische Chemie inne.
Spezielle Molekülzustände entschlüsseln
Als etwas medienscheu bezeichnet Merkt sich und seine Arbeitsgruppe. Seine Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Molekülspektroskopie mag auf den ersten Blick nicht auf das Interesse einer breiten Öffentlichkeit stoßen: Er und sein Team interessieren sich dafür, wie sich Moleküle in Isolation (zum Beispiel in der Gasphase) verhalten. Den Fokus seiner Forschung legt er insbesondere auf sogenannte Rydberg-Zustände: elektronisch hoch-angeregte Zustände von Atomen und Molekülen, die entstehen, wenn sich ein negativ geladenes Elektron sehr weit vom positiv geladenen Atom- oder Molekülrumpf entfernt befindet.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die sogenannte Photoionisation, ein Prozess, bei dem ein Photoelektron von einem Molekül abgespalten wird und letzteres als positiv geladenes Teilchen (Ion) zurück lässt. Dieser Prozess findet zum Beispiel in der oberen Atmosphäre (der Ionosphäre) oder im Weltraum in molekularen Wolken statt. Die Eigenschaften von Molekülen, die solche Prozesse durchlaufen oder sich in speziellen Zuständen befinden, messen Merkt und seine Mitarbeiter mittels hochauflösender Spektroskopie. Dabei wird die Wechselwirkung von Molekülen mit elektromagnetischer Strahlung untersucht. Aus den daraus entstehenden Linienspektren können die Chemiker wiederum Rückschlüsse auf die Eigenschaften der Moleküle ziehen.
Ausgezeichnete Forschung
Dass Merkt nie damit haderte, nicht Medizin studiert zu haben, merkt man daran, dass er in seinem Fach eine absolute Kapazität geworden ist. Von der Öffentlichkeit unbemerkt, aber von der Forschungsgemeinschaft hoch geschätzt, erhielt Merkt mit seiner Grundlagenforschung eine Reihe von bedeutenden Auszeichnungen, angefangen mit dem nationalen Latsis-Preis des Schweizerischen Nationalfonds und dem Alfred-Werner-Preis der Schweizerischen Chemischen Gesellschaft 1999. Die folgenden Jahre brachten ihm außerdem den Akademiepreis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 2004, einen ERC Advanced Grant 2008, sowie 2010 den William F. Meggers Award der Optical Society of America und die Carus-Medaille der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina ein, um nur eine Auswahl zu nennen. In diesem Jahr erhält er zudem den Otto-Bayer-Preis der Bayer Science & Education Foundation.
Was bedeuten ihm die Preise? "Ich freue mich natürlich über die Anerkennungen", so Merkt. Allerdings gebe es viele brillante Forschende, die Großes leisteten und Auszeichnungen verdienten. So könne er sich die Häufung der Preise für seine Arbeit auch nicht ganz erklären. Diese Bescheidenheit begründet sich vielleicht auch in seiner Leidenschaft für die Forschung : "Ich bin immer glücklich, wenn ich ein Molekülspektrum sehe. Das Schöne ist, dass das fast täglich geschieht."
Dass Merkt nicht der Typ Wissenschaftler ist, der nichts anderes als seine Forschung im Kopf hat, zeigt sich in seiner zweiten Leidenschaft: der Musik. Als Klarinettist spielte er schon während des Studiums und auch später noch in Ensembles, inzwischen mehr mit seinen Kindern. Besonders die Klarinetten-Quintette von Mozart und Brahms hätten es ihm angetan, sagt er.
Schwierigkeiten und Glücksmomente
Die sieben Jahre nach Abschluss seines Chemie-Studiums und vor seiner Rückkehr an die ETH lesen sich wie die Traumkarriere eines Wissenschaftlers: Cambridge, Paris, Oxford, Standford. "Es liest sich vielleicht gut, aber es gab auch schwierige Zeiten", gibt Merkt zu bedenken. Im ersten Jahr seiner Doktorarbeit in Cambridge habe gar nichts funktioniert." Schwierigkeiten zu überwinden und zu merken, dass etwas plötzlich funktioniert, sind die Glücksmomente in der Forschung." So ermutige er seine Studierenden, dass es trotz Durststrecken doch gut komme, wenn man wirklich will.
Es gibt noch viele Forschungsfragen, die er beantworten möchte. So arbeiten er und sein Team derzeit daran, Moleküle so stark wie möglich abzukühlen, um sie in (fast) Bewegungslosigkeit besser und länger beobachten zu können. Das große Ziel seiner Forschung? "So weit zu forschen, bis man in den Bereich kommt, in dem man Ergebnisse nicht mehr erklären kann", sagt Merkt. Das Vordringen ins Unbekannte mache Wissenschaft aus.
Quelle: ETH Zürich