28.04.2003
Luftschadstoffe realistisch betrachtet - Aktuelle Forschungsergebnisse
Dass Schadstoffe wie Schwefeldioxid (SO2), Kohlenmonoxid (CO) oder diverse Stickoxide (NOx) die Luft belasten, ist hinlänglich bekannt. Aus welchen (vom Menschen verursachten bzw. natürlichen) Quellen sie stammen, in welchen Mengen sie in die unteren Schicht der Atmosphäre (Troposphäre) abgegeben werden und welche Konzentrationen sie dort erreichen, weiß man inzwischen recht genau. Bei anderen wichtigen Luftschadstoffen bestehen dagegen noch Unsicherheiten; dies gilt vor allem für die so genannten flüchtigen organischen Verbindungen (VOC: volatile organic compounds), die Kleinst-Partikel (Feinstaub) oder für Ammoniak (NH3). Insbesondere die VOC bilden gemeinsam mit den Stickoxiden die wichtigsten chemischen Vorläufer des Ozons, das Großstadtbewohnern als Sommersmog gerade die schönsten Sommertage vergällt. Das EUROTRAC-2-Projekt hat wesentlich dazu beigetragen, das Wissen über Herkunft und Verhalten solcher Schadstoffe zu erweitern und bisherige Unsicherheiten zu verringern.
Hauptquellen für die Freisetzung von VOC sind die Nutzung von organischen Lösungsmitteln (etwa in Lacken und Farben) sowie der Verkehr, aber auch natürliche Quellen, insbesondere Wälder. Auch in diesen Bereichen wurden neue Erkenntnisse erarbeitet. Neuberechnungen haben zum Beispiel gezeigt, dass Motorfahrzeuge im realen Betrieb beim Kaltstart sehr viel mehr (bis zu 50 Prozent) VOC produzieren, als an Hand der Test-Zyklen vermutet worden war. Aktuelle Untersuchungen weisen zudem darauf hin, dass die Katalysatoren in vielen Fahrzeugen defekt sind. Als Folge solcher Fehlfunktionen dürfte der tatsächliche Ausstoß an VOC in Deutschland rund zehn Prozent höher liegen als bislang angenommen.
Eine weitere bislang unterschätzte Quelle von VOC-Emissionen waren die Gasrückführungssysteme an Tankstellen, so haben Untersuchungen im Rahmen von EUROTRAC-2 gezeigt. Die Wirksamkeit dieser Anlagen, die seit einigen Jahren an allen deutschen Tankstellen vorgeschrieben sind, ist stark vom Wartungszustand abhängig. Offenbar wurde diese Wartung jedoch in vielen Fällen vernachlässigt, so dass diese aufwendige Umweltschutz-Technik weniger effektiv war als erhofft. Inzwischen haben Umweltbundesamt und Bundesregierung diese Erkenntnisse aufgegriffen und entsprechende Vorschriften auf den Weg gebracht.
Eine Reihe von Experimenten an Strassen ergab zudem, dass ein großer Teil der Lastkraftwagen (die die EURO-2-Norm erfüllen), wesentlich mehr Stickoxide emittieren als bisher in Emissionskatastern angenommen. Generell zeigte sich, dass technische Maßnahmen zur Minderung von Schadstoffen nur dann wie geplant funktionieren, wenn sie regelmäßig gewartet und kontrolliert werden. Ein wesentliches Ergebnis war zudem, dass die Abschätzung der Emissionen mit vergleichsweise hohen Unsicherheiten behaftet ist; somit ist auch bei der Planung von Luftreinhaltestrategien unsicher, inwieweit vorgegebene Luftreinhalteziele auch wirklich erreicht werden. Noch nicht endgültig geklärt ist die Frage, welchen Anteil organische Lösungsmittel, die unter anderem in Lacken und Farben enthalten sind, zu der VOC-Belastung der Atmosphäre beisteuern. Klar ist, dass es deutliche Diskrepanzen gibt zwischen den bisher benutzten Statistiken sowie Messungen unter realistischen Bedingungen. Diese Versuche sind zur Zeit noch im Gang und sollen dabei helfen, auch diese Schadstoffquelle in naher Zukunft besser abschätzen zu können; dies ist wichtig, weil die Bundesrepublik im Rahmen der "National Emissions Ceiling Directive" der Europäischen Kommission verpflichtet ist, zukünftig bestimmte Emissionsobergrenzen nicht zu überschreiten.
Neben den VOC-Emission aus anthropogenen Quellen spielen auch natürliche Ursachen eine lange Zeit unterschätzte Rolle. So geben beispielsweise Wälder erhebliche Mengen an Monoterpen und Isopren, die aus biochemischen Prozessen herrühren, an die Atmosphäre ab. An warmen Tagen steuern sie mehr zu der Menge an VOC bei, die insgesamt in die Lufthülle geraten, als die sonstigen Quellen wie Verkehr und Lösemittelanwendung zusammen. EUROTRAC-2 hat wesentlich dazu beigetragen, solche Prozesse zu verstehen und die freigesetzten Mengen abschätzbar zu machen. Dieser hohe Beitrag der natürlichen VOC "relativiert" im übrigen auch die umweltpolitischen Anstrengungen, die vom Menschen verursachten VOC-Emissionen zu reduzieren: Denn die daraus resultierenden Verringerungen machen zwangsläufig einen geringeren Anteil an der Gesamtmenge aus, als bisher angenommen wurde.
Diese "biogenen" VOC-Emissionen hängen, so weiß man heute, wesentlich von der Temperatur, der Vegetationsdichte sowie der Artenzusammensetzung der Wälder ab. Der prognostizierte Klimawandel in Europa wird im übrigen vermutlich dazu führen, dass solche Emissionen in Zukunft weiter zunehmen. Dies ist ein gutes Beispiel für den engen wissenschaftlichen Zusammenhang zwischen der Erforschung von Luftschadstoffen einerseits sowie des Klimawandels andererseits.
Quelle: GSF - Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit