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19.09.2024

30.08.2024

Neuentdeckte Fähigkeiten eines bekannten Labor-Pilz

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Die große Vielfalt der Pilze wird in der Pflanzenforschung häufig vor allem wegen ihres Potenzials als Pflanzenschädlinge betrachtet. Die Bandbreite der Interaktionen zwischen Pilzen und Pflanzen ist jedoch deutlich größer und reicht von schädlichen Wechselwirkungen bis hin zu für beide Parteien vorteilhaften Beziehungen.

Insbesondere die umfangreiche Gruppe der endophytischen Pilze, die im Pflanzeninneren leben und schädliche, neutrale oder symbiotische Beziehungen zum Wirt pflegen, sind bisher nur zu einem geringen Teil erforscht. Die Abteilung für Botanische Genetik und Molekularbiologie unter der Leitung von Professor Frank Kempken an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) untersucht unter anderem die molekularen Grundlagen solcher Pilz-Pflanzen-Interaktionen.

In einer neuen Studie haben die CAU-Forschenden den fadenförmigen Pilz Neurospora crassa hinsichtlich seiner möglichen Interaktionen mit verschiedenen Pflanzenarten untersucht. Über die Ökologie und das natürliche Vorkommen des als genetischer und molekularbiologischer Modellorganismus weltweit genutzten Pilzes ist bisher wenig bekannt. Dank einer Kombination aus Besiedlungsexperimenten und verschiedenen bildgebenden Verfahren fanden die Kieler Wissenschaftler heraus, dass sich der Pilz dauerhaft und stabil in der getreideähnlichen Grasart Brachypodium distachyon ansiedeln kann, ohne den Wirtsorganismus zu schädigen.

Damit konnten sie eine vermutlich vorteilhafte, stabile und in der Natur mögliche Beziehung des Pilzes mit einer Pflanze nachweisen. Beide Arten, sowohl der Pilz als auch das Gras, sind in ihren genetischen und molekularen Eigenschaften bereits im Detail erforscht, sodass sie sich gemeinsam als neuartiges Modellsystem zur Untersuchung von Pilz-Pflanzen-Interaktionen anbieten. Die Forschenden vom Botanischen Institut der CAU, die auch im Kiel Plant Center (KPC) aktiv sind, veröffentlichten ihre Ergebnisse kürzlich in der Fachzeitschrift Journal of Fungi.

Endophythisches Vorkommen in Gräsern erstmals experimentell nachgewiesen

Über das Vorkommen von N. crassa in der Natur liegen bisher nur wenige Erkenntnisse vor. "Man geht davon aus, dass der Pilz zum Beispiel auf abgestorbenem Zuckerrohr vorkommt und dort das Pflanzenmaterial abbaut. Ein amerikanisches Forschungsteam fand zudem Hinweise auf eine Vergemeinschaftung zwischen dem Pilz und einer bestimmten Kiefernart", erklärt Dr. Krisztina Kolláth-Leiß, wissenschaftliche Mitarbeiterin in Kempkens Arbeitsgruppe.

Um mehr über die ökologische Rolle des Pilzes zu erfahren, führte das Kieler Forschungsteam eine Reihe von Besiedlungsversuchen durch. Dabei brachten sie Pilzsporen auf die Wurzeln bereits vorgezogener Pflanzen verschiedener Arten auf und beobachteten im Laufe rund einer Woche, ob und wie sich der Pilz auf den Geweben ansiedelte und welchen Einfluss er auf das Pflanzenwachstum hatte. Zunächst gelangen die Ansiedlungsversuche nicht, zum Beispiel bei Mais und der klassischen Modellpflanze Arabidopsis thaliana zeigten Pilz und Pflanze keine stabilen Interaktionen.

"Wir wiederholten unsere Experimente daraufhin mit dem Süßgras Brachypodium distachyon, zu dessen Familie beispielsweise auch Weizen, Roggen und Gerste zählen. Hier zeigte sich ein ausgedehntes Wachstum von N. crassa um die Pflanzenwurzel herum, während der Spross des Grases nicht betroffen zu sein schien und die Pflanze insgesamt normal wuchs", so Kolláth-Leiß. Das umfangreiche Gedeihen auf den Wurzeln liefert erstmals Hinweise auf eine endophytische Interaktion zwischen dieser Pilzart und einer Pflanzenwurzel und legt nahe, dass dieses Zusammenspiel auch in der Natur vorkommen kann. Auch das Vorkommen in gemeinsamen Lebensräumen und die bereits bekannte Anwesenheit nah verwandter Pilzarten auf den Wurzeln des Grases unterstützten diese Theorie, so die Botanikerin.

Mittels verschiedener Bildgebungsmethoden, darunter Elektronen- und Konfokalmikroskopie, mit denen die Zentrale Mikroskopie (ZM) der CAU zur Studie beitrug, beobachtete das Forschungsteam, wie die Pilzbesiedlung der Brachypodium-Wurzeln im Detail ablief. "Dabei konnten wir zum Beispiel belegen, dass sich der Pilz über die Plasmodesmen, also intern von Pflanzenzelle zu Pflanzenzelle, verbreiten konnte. Dies deutet ebenfalls auf eine endophytische Beziehung von Pilz und Pflanze hin", betont Kolláth-Leiß.

Insgesamt kam in den Versuchen eine stabile Interaktion von N. crassa und B. distachyon zustande, die sich vor allem in einer sehr dichten Pilzbesiedlung der Pflanzenwurzeln äußerte. Möglicherweise, so vermuten die Forschenden, könne dies der Unterstützung der Pflanze bei der Wasseraufnahme dienen. Eine solche Interaktion wäre für beide Seiten vorteilhaft, da sie die Konkurrenzfähigkeit der Pflanze steigert und gleichzeitig die Nährstoffversorgung des Pilzes verbessert.

Neuartiges Modellsystem zur Untersuchung von Pilz-Pflanzen-Interaktionen

"Vielzellige Wirtslebewesen allgemein und damit auch Pflanzengewebe bieten geeignete Nischen für die Ansiedlung von Mikroorganismen, die zu verschiedenen, häufig aber sehr spezifischen Formen von Interaktionen führen können. Unsere neuen Ergebnisse deuten darauf hin, dass Pilze viel breiter als bisher gedacht die Fähigkeit besitzen, endophytisch mit Wirtspflanzen zu interagieren", betont Kempken, KPC-Mitglied und Leiter der Abteilung für Botanische Genetik und Molekularbiologie an der CAU.

Die Studie der Kieler Forschenden bietet damit eine Grundlage, um anhand des neuartigen Modellsystems der endophytischen Beziehung von N. crassa und B. distachyon die Bandbreite von Pilz-Pflanzen-Interaktionen und ihre Abhängigkeit von wechselnden Umweltbedingungen zu studieren. "Solche Interaktionen spielen eine wichtige Rolle für die Pflanzengesundheit. Bislang ist aber noch nicht ausreichend geklärt, wie sich im Zuge geänderter Umweltbedingungen endophytische Beziehungen zwischen Pilzen und Pflanzen von nützlich zu schädlich ändern können.

Daher wollen wir anhand dieses Beispiels künftig verstehen, welche Faktoren eine solche Interaktion auf molekularer Ebene stabilisieren oder destabilisieren. Diese Erkenntnisse könnten man zum Beispiel künftig in der Pflanzenzucht nutzen, um den Auswirkungen geänderter Wachstumsbedingungen im Zuge des Klimawandels gezielt entgegenzuwirken", blickt Kempken voraus.

» Originalpublikation

Quelle: Universität Kiel