23.05.2023
Analyse einzelner Pflanzenzellen eröffnet Einblicke in die Biosynthese von Naturstoffen
Ein internationales Team von Forschenden der University of Georgia, USA, und des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena stellt in einer neuen Studie eine vielversprechende Strategie zur Entschlüsselung von Stoffwechselwegen zur Bildung von Pflanzeninhaltsstoffe mit medizinischer Bedeutung vor.
Das Forschungsteam untersuchte die Biosynthese von zwei Alkaloiden aus der Pflanze Catharanthus roseus, die in der Medizin als Krebstherapeutika eingesetzt werden. Die Gene für die Bildung dieser Wirkstoffe werden in unterschiedlichen Zelltypen exprimiert. Mithilfe von Einzelzell-Analysen konnten die Wissenschaftler neue, für die Biosynthese wichtige Gene entdecken und zeigen, dass die Zwischenprodukte des Stoffwechselwegs in spezifischen Zelltypen angereichert werden.
Die Forschenden gehen davon aus, dass dieser methodische Ansatz wichtige neue Erkenntnisse über die Bildung vieler anderer Naturstoffe aus dem Pflanzenreich ermöglicht.
Pflanzen sind beeindruckend in ihrer Vielfalt, ganz besonders aber in der Vielfalt der Inhaltsstoffe, die sie produzieren. Viele Pflanzeninhaltsstoffe sind hochkomplexe Moleküle, wie beispielsweise die Alkaloide Vincristin und Vinblastin, die von der Rosafarbenen Catharanthe (Catharanthus roseus) gebildet werden. Diese beiden Wirkstoffe sind in der Krebstherapie bereits unentbehrlich.
Forschende wollen herausfinden, welche einzelnen Biosyntheseschritte für die Bildung der komplexen Moleküle erforderlich sind. "Derzeit werden diese Verbindungen noch in sehr kleinen Mengen aus dem Blattextrakt der Pflanze gewonnen. Wir können von der Pflanze lernen, wie dieser Wirkstoff hergestellt wird, und mit diesem Wissen Produktionssysteme entwickeln, die kostengünstiger, skalierbar und nachhaltig sind", beschreibt Erstautor Chenxin Li vom Center for Applied Genetic Technologies der University of Georgia, das Forschungsziel.
Zuordnung genetischer und metabolischer Informationen zu einzelnen Zellen pflanzlicher Organe
Die Wissenschaftler wissen, dass die Genaktivität nicht in allen Zellen einer Pflanze gleich ist und dass sich die Chemie von Zelle zu Zelle drastisch unterscheiden kann. Ziel der aktuellen Studie war es daher, mit einem neuen Methodenset, das zusammengenommen single-cell omics (Einzelzell-Omik) genannt wird, spezialisierte und seltene Zelltypen zu untersuchen, die eine zentrale Rolle bei der Biosynthese pflanzlicher Naturstoffe spielen, und deren Signale oft durch häufiger vorkommende Zelltypen in pflanzlichen Organen verdeckt werden.
"Mit den single-cell omics haben wir ein Verfahren, das es Forschenden ermöglicht, genetische und metabolische Informationen einzelnen Zellen zuzuordnen. Der Begriff Omics bezieht sich dabei darauf, dass eine ganze Sammlung von Genen oder Stoffwechselprodukten quantifiziert und analysiert wird", erläutert Lorenzo Caputi, Leiter der Projektgruppe Alkaloid-Biosynthese in der Abteilung Naturstoffbiosynthese in Jena und einer der Hauptautoren, die methodische Herangehensweise.
Biosyntheseweg von Vinblastin in drei eigenständigen Zelltypen organisiert
Wie die Analysen zeigten, ist der gesamte Biosyntheseweg für das Alkaloid Vinblastin in drei Stufen und drei getrennte Zelltypen gegliedert. "Die erste Stufe wird ausschließlich in spezialisierten Zellen exprimiert, die mit den Leitbündeln im Blatt, dem sogenannten IPAP, assoziiert sind. Die zweite Stufe des Synthesewegs wird nur in den Zellen der Epidermis, des Blattabschlussgewebes, exprimiert, und die letzten bekannten Schritte des Synthesewegs werden ausschließlich in Idioblasten exprimiert, einem seltenen Zelltyp des Blattes", fasst Chenxin Li die Ergebnisse zusammen.
Die Forschenden maßen die Konzentrationen mehrerer Zwischenstufen im Stoffwechselweg für Vinblastin in einzelnen Zellen und waren überrascht: "Zwei wichtige Vorstufen von Vinblastin, Catharanthin und Vindolin, kommen in den Idioblastenzellen in millimolaren Konzentrationen vor, etwa drei Größenordnungen höher als Vinblastin selbst. Die Konzentration der beiden Vorstufen in diesen Zellen war wesentlich höher als wir erwartet hatten und übertrafen sogar ihre Konzentrationen in Extrakten ganzer Organe.
Allerdings ergibt diese Beobachtung insofern Sinn, dass Catharanthin und Vindolin nur in dem seltenen Zelltyp Idioblast gefunden wurden. Durch die reichlich vorhandenen anderen Zellen im Blatt wird die hohe Konzentration verdünnt, wenn ganze Blätter zerkleinert werden", meint Sarah O'Connor, Leiterin der Abteilung Naturstoffbiosynthese.
Das Forschungsteam ist sich sicher, dass die Organisation der Biosynthesewege für die medizinisch relevanten Alkaloide in der Rosafarbenen Catharanthe kein isoliertes Phänomen ist. "Wir beginnen gerade erst zu verstehen, wie und warum solche zelltypspezifischen Organisationen existieren. Darüber hinaus hat uns die Analyse von Genen, die gleichzeitig in einem bestimmten Zelltyp exprimiert wird, geholfen, neue Akteure in diesem Stoffwechselweg zu identifizieren.
Die gleiche Technik kann auch zur Untersuchung der Biosynthese vieler anderer Naturstoffe eingesetzt werden. Schließlich kann uns der genaue Ort der Anreicherung von Pflanzeninhaltsstoffen, wie Epidermis, Gefäßsystem oder Milchsaftkanal, dabei helfen, Hypothesen über die ökologische Rolle der Naturstoffe aufzustellen. Je nach Ort der Anreicherung sind die Stoffe z. B. wirksamer gegen beißende als gegen saftsaugende Insekten", sagt Robin Buell, Professorin an der Georgia University.
Ein tieferes Verständnis der Biosynthesewege der Anti-Krebs-Mittel Vincristin und Vinblastin soll langfristig auch dazu beitragen, diese Wirkstoffe effektiver herstellen bzw. ernten zu können. Der Einsatz der beschriebenen Methode ist auch vielversprechend für die Untersuchung vieler anderer interessanter und medizinisch bedeutsamer Naturstoffe aus dem Pflanzenreich. Der hier beschriebene Ansatz soll dabei helfen, diese seltenen und spezialisierten Zellen einzugrenzen und die genetische Aktivität und die Chemie aufzudecken, die die nur in diesen Zellen passiert.
Quelle: Max-Planck-Institut für chemische Ökologie (MPICE)