11.04.2023
Rolle der Umwelt bei der Entstehung des Lebens erforscht
Organismen, die wir heute kennen, nutzen komplexe, zeitlich präzise getaktete Mechanismen, um sich zu teilen und ihr Erbgut zu duplizieren. Vor allem eiweißbasierte Enzyme spielen dabei eine wichtige Rolle. Diese gab es jedoch in primitiven Vorstufen des heutigen Lebens noch nicht.
Wie sich frühe Urformen des Lebens dennoch reproduzieren konnten und wie dadurch schließlich das heutige Leben entstehen konnte, das untersuchen Forschende anhand von Modellsystemen im Labor. Eine Gruppe um Hannes Mutschler, Professor für Biomimetische Chemie an der Fakultät für Chemie und Chemische Biologie, konnte nun zeigen, wie äußere Umwelteinflüsse die zeitliche Taktung der Reproduktion bestimmt und damit auch die Rolle von Enzymen übernommen haben könnten. Die Erkenntnisse wurden in zwei Artikeln in der renommieren Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Die präzise regulierten Reproduktionsmechanismen heutiger Zellen sind das Produkt von Millionen Jahren an Evolution. Forschenden fragen sich daher, wie sich viel primitivere Vorstufen des Lebens überhaupt fortpflanzen konnten ohne das reiche Repertoire eiweißbasierter Enzyme. "Eine These besagt, dass in diesen frühen Urformen zunächst Ribonukleinsäuren, kurz RNA, die Rolle sowohl des DNA-Erbguts als auch die von Enzymen einnahmen, während äußere Umwelteinflüsse die zeitliche Taktung der Reproduktion bestimmten", erklärt Prof. Hannes Mutschler. "Den Einfluss der äußeren Umwelt auf die Reproduktion von RNA haben wir im Labor untersucht. Dabei sind uns zwei experimentelle Durchbrüche gelungen, die genau diese Vermutung stützen."
Zyklische Temperaturschwankungen
Zusammen mit Kollegen vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried konnte die Arbeitsgruppe von Prof. Hannes Mutschler zeigen, dass die Ausbreitung von sich selbst replizierenden RNA-Molekülen in Populationen einfacher "Protozellen" durch einfache Gefrier-Tau-Zyklen ermöglicht wird. Die Temperaturschwankungen führen dazu, dass die Membranen der Zellvesikel für kurze Zeit durchlässig werden, wodurch die RNA-Replikatoren diese wie primitive "Viren" infizieren können und sich dort im Anschluss vervielfältigen. Dieser Prozess ist robust und kann über mehrere Generationen im Labor aufrechterhalten werden.
Mikroskopische Wasserkreisläufe
In der zweiten Arbeit stellt die Arbeitsgruppe von Prof. Hannes Mutschler zusammen mit Biophysikern der Ludwig-Maximilians-Universität München einen experimentellen Lösungsansatz für das seit vielen Jahren bestehende Problem des proteinfreien Kopierens von Erbgutsequenzen vor. Während moderne Organismen keinerlei Probleme haben, die Sequenzinformation ihrer Genome wiederholt abzulesen, erschien dieser Prozess in rein RNA-basierten Systemen ohne die Hilfe von modernen Eiweißen nahezu unmöglich.
Ein Hauptproblem ist dabei, dass die kopierten RNA-Sequenzen wie Klebestreifen "aneinanderkleben" und dadurch unlesbar werden. Jetzt allerdings gelang es den Forschern, eine mögliche geeignete Umgebung auf der frühen Erde zu finden, die dieses dauerhafte "Aneinanderkleben" verhindert haben könnte. Diese wird durch kleine, teilweise mit Flüssigkeit gefüllte Gesteinsporen bereitgestellt, welche zusätzlich einseitig einer Wärmequelle ausgesetzt sind.
Durch diese Anordnung entstehen in den Poren mikroskopische Wasserkreisläufe, in welchen die RNA-Moleküle unter anderem zyklischen Änderungen des pH-Werts ausgesetzt werden. Durch eine Kombination mit weiteren Effekten können in dieser, auf der frühen Erde vermutlich sehr häufigen, Umgebung primitive RNA-Sequenzen wiederholt kopiert werden und sogar kleinere "RNA-Gene" abgelesen werden.
In zukünftigen Forschungsvorhaben wollen die involvierten Arbeitsgruppen die Erkenntnisse aus beiden Arbeiten kombinieren und experimentelle Modelle für Protozellen mit aktiv replizierenden Genomen erzeugen, was ein wichtiger Beitrag für das Verständnis plausibler Szenarien der Entstehung von Leben wäre.
Quelle: Technische Universität Dortmund