10.03.2023
Eine nachhaltige Kunststoffwirtschaft ist möglich
Eine neue Studie zeigt auf, was es braucht, damit die Kunststoffwirtschaft vollständig nachhaltig wird: eine Kombination von viel Recycling, der Nutzung von CO2 aus der Luft und von Biomasse. Ändern müsste sich außerdem das Image von Plastik.
Plastik ist überall. Weil Kunststoffe zahlreiche Vorzüge haben, extrem vielseitig einsetzbar und darüber hinaus kostengünstig sind, kann unsere Gesellschaft nicht auf sie verzichten. Hergestellt werden Kunststoffe heute vorwiegend aus Erdöl. Kommen die Produkte an ihr Lebensende, landen sie häufig in einer Kehrichtverbrennungsanlage. Durch die energieintensive Herstellung von Kunststoffen und ihre Verbrennung gelangen große Mengen CO2 in die Atmosphäre, womit Plastikprodukte wesentlich zum Klimawandel beitragen.
Ein Ausweg wäre, auf nachhaltige Produktionsweisen zu setzen, etwa auf die Kreislaufwirtschaft, bei der möglichst viel Plastik wiederverwertet wird. Hauptausgangsstoff für Plastikprodukte wäre dann nicht mehr Erdöl, sondern zerkleinerter Plastikabfall. Doch ist es überhaupt möglich, die Plastikwirtschaft auf absolute Nachhaltigkeit zu trimmen? Ja, ist es. Dies zeigt eine neue Studie unter der Leitung von André Bardow, Professor für Energie- und Prozesssystemtechnik an der ETH Zürich. An der Studie mitgearbeitet hat Gonzalo Guillén Gosálbez, Professor für Chemisches System-Engineering an der ETH Zürich, sowie Forschende der RWTH Aachen und der University of California in Santa Barbara.
Recycling-Quote massiv erhöhen
Die Wissenschaftler haben die vollständigen Wertschöpfungsketten der 14 häufigsten Kunststoffarten, darunter Polyethylen, Polypropylen und Polyvinylchlorid, angeschaut. Diese 14 Massenkunststoffe machen 90 Prozent der weltweit hergestellten Plastikprodukte aus. Dabei haben die Forscher erstmals untersucht, ob sich die Planetaren Grenzen einhalten lassen. Die Planetaren Grenzen sind ein Maß für die umfassende Nachhaltigkeit von Prozessen. Sie gehen über die Energie- und Klimaproblematik hinaus und beinhalten beispielsweise auch Auswirkungen auf Land- und Wasserressourcen, die Ökosysteme und die Biodiversität. Kurz gesagt: Prozesse, welche die Planetaren Grenzen einhalten, können langfristig aufrechterhalten werden, ohne dabei Raubbau am Planeten Erde zu betreiben.
Das Ergebnis der Studie: Kunststoffkreisläufe innerhalb der Planetaren Grenzen wären möglich. Dazu müsste mindestens 74 Prozent des Plastiks wiederverwertet werden. Zum Vergleich: Heute wird in Europa je nach Schätzung nur rund 15 Prozent rezykliert, in anderen Weltregionen dürfte die Quote weit geringer sein. Außerdem müssten laut der Studie die Recyclingprozesse verbessert werden. Konkret müsste das Kunststoffrecycling so effizient werden, wie andere chemische Prozesse es heute schon sind. So lassen sich auch heute nicht alle Kunststoffe wiederverwerten. Bei den als Schaumstoffen benutzten Polyurethanen beispielsweise muss das Recycling erst noch etabliert werden - eine Frage, mit der sich ETH-Professor Bardow ebenfalls beschäftigt.
Für die restlichen maximal 26 Prozent der Kunststoffe könnte der für die Herstellung benötigte Kohlenstoff laut der Studie aus zwei weiteren Technologien stammen: einerseits aus der CO2-Absscheidung von Verbrennungsprozessen oder aus der Atmosphäre (CCU, für englisch: Carbon Capture and Utilisation) und andererseits aus Biomasse. "Alleine mit Recycling geht es nicht, wir brauchen alle drei Pfeiler", sagt Bardow.
"Die Recyclingquote weltweit auf 74 Prozent zu erhöhen, ist ein sehr ambitioniertes Ziel", gibt ETH-Professor Bardow zu bedenken. Es bis ins Jahr 2030 zu erreichen, dürfte daher nicht realistisch sein, bis 2050 schon eher. Eine weitere Herausforderung ist allerdings, dass derzeit Jahr für Jahr mehr Kunststoffprodukte hergestellt werden. Setzt sich der aktuelle Trend bis 2050 fort, reicht es nicht, die Recyclingprozesse zu verbessern. Die Planetaren Grenzen würden 2050 dennoch überschritten.
Die Studienautoren schlagen daher vor, auch bei der Nachfrage anzusetzen und dem Kunststoff einen anderen Wert beizumessen. "Plastik gilt als billig, was lange ein Segen war und nun zum Fluch geworden ist", sagt Bardow. "Angesichts seiner hervorragenden Eigenschaften sollten wir Kunststoff als den hochwertigen Werkstoff betrachten, der er tatsächlich ist. Somit darf er auch etwas kosten, und sein Recycling auch."
Produktverantwortung breiter auffassen
Die Wissenschaftler weisen in der Studie darauf hin, dass Kunststoffprodukte in Zukunft besser auf die Kreislaufwirtschaft ausgerichtet werden müssen. Dazu sollten die Hersteller vermehrt mit Wiederverwertern zusammenarbeiten. So wäre es laut den Studienautoren wünschenswert, wenn die Kunststoffhersteller ihre Verantwortung umfassender begreifen würden. Heute endet die Verantwortung oft dort, wo das Produkt die Fabriktore verlässt. Die Wissenschaftler fordern daher, dass die Produktverantwortung den ganzen Lebenszyklus und somit auch Entsorgung und Wiederverwertung umfassen würde, um auf diese Weise optimale nachhaltige Prozesse zu gestalten.
Das Recycling zu forcieren sei auf jeden Fall der richtige Weg, denn dieses habe keine gravierenden Nachteile und stelle damit bei der Transformation der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit einen Sonderfall dar. In vielen anderen Bereichen kommt es zu Zielkonflikten. Als Beispiele: Die Herstellung von synthetischen Treibstoffen ist extrem energieintensiv. Die Nutzung von Biomasse konkurriert mit der Nahrungsmittelproduktion. Die Wiederverwertung von Kunststoff hingegen führt zu keinem Zielkonflikt. Bardow: "Man soll Recycling intensivieren, wo es nur geht. Als Faustregel gilt: Mehr Recycling von Kunststoff führt immer zu mehr Nachhaltigkeit."
Der Anteil der ETH Zürich an dieser Studie wurde durchgeführt im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts externe NCCR Catalysis.
Quelle: ETH Zürich