05.07.2022
Biomimetischer Synthesekautschuk entwickelt
Synthesekautschuk wird seit Beginn des 20. Jahrhunderts produziert und stetig optimiert. Dennoch können sich seine mechanischen Eigenschaften nicht mit denen des Naturkautschuks messen. So zeichnet sich Naturkautschuk beispielsweise durch eine bislang ungeschlagene dehnungsinduzierte Kristallisation aus.
Im Forschungsprojekt "BISYKA" gelang es einem Team aus Fraunhofer-Forschenden Ursachen dafür aufzuspüren und erfolgreich auf Synthesekautschuk zu übertragen.
Seit über 100 Jahren steht die Optimierung von Synthesekautschuk im Fokus weltweiter Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Und trotzdem bietet Naturkautschuk seinen synthetischen Pendants noch immer die Stirn und ist ihnen bei bedeutenden mechanischen Eigenschaften voraus.
Ein herausragendes Alleinstellungsmerkmal des Naturkautschuks ist die dehnungsinduzierte Kristallisation. Bei Deformation bildet das Polymer Nanokristalle, dieses Verhalten verhindert die Ausbreitung von Mikrorissen und verlängert die Lebensdauer des Materials.
Auf der Deutschen Kautschuk-Tagung und International Rubber Conference, dem Treffpunkt der globalen Kautschuk- und Elastomerbranche, stellen die Fraunhofer-Institute für Angewandte Polymerforschung IAP, für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS und für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME auf dem Wissenschaftscampus einen Reifen aus biomimetischem Synthesekautschuk vor.
"Diese Reifen verlieren 30 Prozent weniger Masse als das Äquivalent aus Naturkautschuk, der Profilverlust beträgt sogar nur die Hälfte", erläutert Dr. Ulrich Wendler, Abteilungsleiter "Synthese und Produktentwicklung" am Fraunhofer-Pilotanlagenzentrum für Polymersynthese PAZ, einer gemeinsamen Einrichtung der Fraunhofer-Institute IAP und IMWS.
Doch was haben die Forschenden von der Natur gelernt, um diese Steigerung zu erreichen?
Im ersten Schritt charakterisierten Molekularbiologen am Fraunhofer IME in Münster Naturkautschuk aus Löwenzahn in seiner Entstehung und Zusammensetzung. Weiterführende Analysen ermöglichten es, die Zusammenhänge zwischen den Einzelkomponenten und den einzigartigen mechanischen Eigenschaften des Löwenzahnkautschuks aufzuschlüsseln.
Basis für die dehnungsinduzierte Kristallisation ist eine extrem hohe cis-Mikrostrukturreinheit des eingesetzten Polyisoprens. Dafür hat das Fraunhofer IAP in Zusammenarbeit mit einem renommierten Katalysatorhersteller verschiedene Katalysatortypen getestet und die Polymerisationsbedingungen optimiert. Final versetzte das BISYKA-Team den high-cis-Synthesekautschuk mit verschiedenen Bestandteilen des Naturkautschuks und beobachtete eindeutige Effekte auf die mechanischen Eigenschaften.
"Unser Fokus lag auf der Herstellung von synthetischem Polyisoprenkautschuk mit verbesserter dehnungsinduzierter Kristallisation, da diese Eigenschaft bisher dem Naturkautschuk eine Alleinstellung verschafft", erklärt Prof. Dr. Mario Beiner, Projektleiter und Wissenschaftlicher Leiter des Geschäftsfelds "Polymeranwendungen" am Fraunhofer IMWS.
In Münster gelang es, ein Herstellungsverfahren für die eigenschaftsbestimmenden Komponenten aus Naturkautschuk zu etablieren, das eine Produktion größerer Mengen biomimetischen Synthesekautschuks ermöglichte und die Produktion von Prototypen erlaubte. "Durch die Bündelung der lebens- und ingenieurwissenschaftlichen Expertisen innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft gelang uns weltweit erstmalig der Transfer der einzigartigen biologischen Eigenschaften von Naturkautschuk auf sein technisches Pendant Synthesekautschuk", betont Prof. Dr. Dirk Prüfer, Standortleiter "Pflanzliche Biopolymere" des Fraunhofer IME in Münster.
Quelle: Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung (IAP)