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09.12.2024

09.11.2016

Steckbrief für Dunkle Materie


Bei der Fahndung nach der mysteriösen Dunklen Materie haben Physiker mit groß angelegten Computerberechnungen eine Art Steckbrief für die gesuchten Teilchen der unbekannten Materieform erstellt. Die Forscher haben dazu eine Erweiterung des erfolgreichen Standardmodells der Teilchenphysik berechnet, die unter anderem eine Vorhersage der Masse sogenannter Axionen liefert, vielversprechender Kandidaten der Dunklen Materie. Das deutsch-ungarische Forscherteam unter der Leitung von Prof. Zoltán Fodor von der Bergischen Universität Wuppertal, der Eötvös-Universität in Budapest und dem Forschungszentrum Jülich berichtet über seine Berechnungen, für die der Jülicher Supercomputer JUQUEEN (BlueGene/Q) zum Einsatz kam.

"Die Dunkle Materie ist eine unsichtbare Form von Materie, die sich bislang nur durch ihre Schwerkraft verrät. Woraus sie besteht, ist völlig rätselhaft", erläutert Ko-Autor Dr. Andreas Ringwald von DESY, der den Anstoß zu der aktuellen Arbeit gab. Hinweise auf die Existenz dieser Materieform kommen unter anderem aus astrophysikalischen Beobachtungen von Galaxien, die sich viel zu schnell drehen, um allein durch die Schwerkraft der sichtbaren Materie zusammengehalten zu werden. Präzisionsmessungen mit dem europäischen Satelliten "Planck" zeigen, dass fast 85 Prozent der gesamten Materie im Universum zur Dunklen Materie gehören. Sämtliche Sterne, Planeten, Staubwolken und weiteren Objekte im All, die aus der uns vertrauten Materie bestehen, machen dagegen nur etwa 15 Prozent der Materie im Kosmos aus.

"'Dunkel' bedeutet nicht etwa, dass diese Materie bloß im sichtbaren Licht nicht leuchtet", sagt Ringwald. "Sie scheint auch in anderen Wellenlängenbereichen nicht zu strahlen - ihre Wechselwirkung mit Photonen muss sehr schwach sein." Seit Jahrzehnten suchen Physiker nach den Teilchen dieser neuen Materieform. Klar ist, dass diese Teilchen außerhalb des Standardmodells der Teilchenphysik liegen müssen, das zwar äußerst erfolgreich ist, aber bislang lediglich die 15 Prozent gewöhnliche Materie beschreibt. Aus theoretisch möglichen Erweiterungen des Standardmodells erhoffen sich die Physiker nicht nur ein tieferes Verständnis des Universums, sondern auch ganz konkrete Hinweise, in welchem Energiebereich sich die Suche nach den Kandidaten der Dunklen Materie besonders lohnt.

Die unbekannte Materieform kann entweder aus vergleichsweise wenigen, aber sehr schweren Teilchen bestehen, oder aus sehr vielen ganz leichten. Die direkte Suche nach schweren Kandidaten für die dunkle Materie mit Hilfe großer Detektoren in unterirdischen Laboren und die indirekte Suche an großen Teilchenbeschleunigern ist noch nicht abgeschlossen, aber bislang ergebnislos geblieben. Aus verschiedenen physikalischen Überlegungen sind die extrem leichten Axionen vielversprechende Kandidaten. Sie könnten sich mit geschickten Versuchsaufbauten sogar direkt nachweisen lassen. "Für so einen Nachweis ist es aber sehr hilfreich zu wissen, bei welcher Masse man suchen muss", betont DESY-Theoretiker Ringwald. "Sonst dauert die Fahndung Jahrzehnte, weil man einen viel zu großen Bereich absuchen muss."

Die Existenz der Axionen wird von einer Erweiterung der Quantenchromodynamik (QCD) vorhergesagt, der Quantentheorie der starken Wechselwirkung. Die starke Wechselwirkung, die auch als Kernkraft bezeichnet wird, ist eine der vier fundamentalen Kräfte der Natur neben Gravitation, Elektromagnetismus und der für die Radioaktivität verantwortlichen schwachen Wechselwirkung. "Aus theoretischen Betrachtungen zeigt sich, dass es in der Quantenchromodynamik sogenannte topologische Quantenfluktuationen gibt, die zu einer beobachtbaren Verletzung der Zeitumkehrinvarianz führen sollten", berichtet Ringwald. Das heißt, bestimmte Prozesse sollten vorwärts anders ablaufen als rückwärts. Das ließ sich im Experiment aber bisher nicht beobachten.

Die Erweiterung der Quantenchromodynamik (QCD) stellt die Zeitumkehrinvarianz wieder her, sagt aber gleichzeitig die Existenz eines sehr schwach wechselwirkenden Teilchen voraus, des Axions, dessen Eigenschaften, insbesondere dessen Masse, von der Stärke der topologischen Quantenfluktuationen abhängen. Letztere ließen sich - bei den für die Vorhersage des Anteils der Axionen an der Materie im Universum relevanten Temperaturen - jedoch erst mit Hilfe von modernen Supercomputern wie JUQUEEN am Forschungszentrum Jülich berechnen. "Zudem mussten wir neue theoretische Methoden entwickeln, um den angestrebten Temperaturbereich zu erreichen", betont Forschungsleiter Fodor.

Die Ergebnisse zeigen unter anderem, dass Axionen, falls sie den Großteil der Dunklen Materie bilden, in den üblichen Einheiten der Teilchenphysik eine Masse von 50 bis 1500 Mikroelektronenvolt haben sollten und damit bis zu Zehnmilliarden Mal leichter sind als das Elektron. Von diesen Leichtgewichten befinden sich im Schnitt etwa zehn Millionen in jedem Kubikzentimeter des Universums. Allerdings ist die Dunkle Materie im Kosmos nicht völlig gleichmäßig verteilt, sie bildet Klumpen und Äste in einer netzartigen Struktur. In unserer lokalen Umgebung in der Milchstraße gäbe es dadurch etwa eine Billion Axionen pro Kubikzentimeter.

Die Supercomputerberechnungen liefern Physikern nun einen konkreten Bereich, in dem die Fahndung nach Axionen am aussichtsreichsten ist. "Es ist davon auszugehen, dass die vorgelegten Ergebnisse zu einem Wettlauf um die Entdeckung dieser Teilchen führen werden", sagt Fodor. Ihre Entdeckung würde nicht nur das Problem der Dunklen Materie des Universums lösen, sondern gleichzeitig die Frage beantworten, warum die starke Wechselwirkung so überraschend symmetrisch bezüglich der Zeitumkehr ist. Die Forscher erwarten, dass es bereits innerhalb der nächsten Jahre möglich wird, die Existenz der Axionen experimentell zu bestätigen oder auszuschließen.

An der Arbeit waren auch das Institut für Kernforschung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Debrecen, die Lendület-Forschungsgruppe zur Gittereichtheorie der Eötvös-Universität, die Universität Saragossa in Spanien sowie das Münchner Max-Planck-Institut für Physik beteiligt.

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Quelle: Deutsches Elektronen-Synchrotron (DESY)