14.01.2014
Neues Verfahren zur Abbremsung von Molekularstrahlen mit einer Zentrifuge
Hat das Elektron ein elektrisches Dipolmoment? Lassen sich Reaktionen zwischen großen polyatomaren Molekülen gezielt steuern? Und können mit Molekülen Quantenrechner oder Quantensimulationen realisiert werden? Antworten auf solche Fragen, die sowohl die Grundlagenphysik als auch potentielle Anwendungen betreffen, versprechen sich Wissenschaftler von der Erforschung kalter polarer Moleküle. Dabei haben sie derzeit vor allem mit dem Problem zu kämpfen, ausreichend große Mengen an kalten komplexen Molekülen zu erzeugen. Das Schlüsselverfahren dabei ist die Abbremsung von Molekularstrahlen. Dafür gab es bisher jedoch nur Methoden, die gepulst, mit einem ziemlich schlechten Schaltverhältnis arbeiten und den hohen Fluss an Molekülen aus kontinuierlichen Strahlquellen nicht richtig nutzen können. Die neue auch "Zentrifugen-Kühlung" genannte Technik, die jetzt eine Gruppe von Wissenschaftlern aus der Abteilung Quantendynamik von Prof. Gerhard Rempe entwickelt hat, ist sehr vielseitig anzuwenden und vor allem die allererste, die kontinuierlich arbeitet.
Die erstaunlichen Fortschritte in der Atomphysik und Quantenoptik in den letzten 30 Jahren gehen vor allem auf die Entwicklung hocheffizienter Laser-Kühlverfahren zurück. Verglichen mit Atomen stellen Moleküle weit komplexere Gebilde dar: sie verfügen zusätzlich zu den elektronischen Energieniveaus über Vibrations- und Rotationszustände. Insbesondere auf Moleküle aus vielen Atomen lässt sich die Laserkühlung somit nicht anwenden.
Es liegt nahe, Moleküle (oder auch andere Objekte) dadurch abzubremsen, dass man sie einen steilen Hügel erklimmen lässt. Dabei wandelt sich ihre Bewegungsenergie in potentielle Energie um. Sobald das Objekt/Molekül auf dem Gipfel angekommen ist, muss man es einfangen. Für Moleküle lassen sich solche Potentialhügel durch die Wechselwirkung mit einem äußeren Feld realisieren, seien es elektrische bzw. magnetische Felder oder Schwerefelder. So verfügen viele Moleküle, im Unterschied zu Atomen, aufgrund einer unsymmetrischen Verteilung ihrer elektrischen Ladungen über ein ausgeprägtes elektrisches Dipolmoment und sind daher über äußere elektrische Felder zu beeinflussen. Wenn sie von einem Gebiet mit einem schwächeren elektrischen Feld in ein Gebiet mit einem höheren Feld geführt werden, verlieren sie Bewegungsenergie. Auf ähnliche Weise können Moleküle mit äußeren magnetischen Feldern abgebremst werden.
"Beide Methoden haben den großen Nachteil, dass die typische Höhe eines Potentialhügels von der Größenordnung 1 Kelvin ist, während die Moleküle aus unserer mit flüssigem Stickstoff gekühlten Strahlquelle eine anfängliche Bewegungsenergie von 100 Kelvin besitzen", erklärt Dr. Sotir Chervenkov, Leiter des Experiments. "Daher müssen die Moleküle eine Folge von etwa 100 Hügeln ersteigen. Das bedeutet, dass man den Vorgang viele Male wiederholen muss, was einer gepulsten Arbeitsweise entspricht."
Will man diese Einschränkung umgehen und die Moleküle in einem Durchgang abbremsen, dann benötigt man ein ausreichend hohes Potential von rund 100 Kelvin. Das Schwerefeld der Erde wäre dazu geeignet, jedoch müsste man das Molekül 2000 Meter hoch werfen, um es von einer anfänglichen Geschwindigkeit von 200 Metern in der Sekunde auf die für seinen Einfang notwendigen 20 Meter pro Sekunde abzubremsen. Das ist natürlich im Experiment unmöglich. Eine Alternative ist die künstliche Erzeugung eines analogen Schwerefeldes.
"Wir sind weltweit die erste Gruppe, die diese Möglichkeit erforscht", betont Dr. Chervenkov. "Jeder, der schon einmal in einem Karussell gesessen hat, weiß, mit welcher Kraft man hier nach außen gedrückt wird. Diese Fliehkraft kann weit stärker sein als die Erdanziehungskraft. Sie wird in Zentrifugen für eine Reihe von Versuchen zu biologischen, medizinischen und industriellen Zwecken genutzt." Xin Wu, ein Doktorand, der die ersten Messungen gemacht hat, ergänzt: "Allerdings verfolgen wir bei mit unserem "Karussell für Moleküle" ein völlig anderes Ziel: wir wollen Moleküle mit einer Anfangsgeschwindigkeit von 200 Metern in der Sekunde annähernd zu Stillstand bringen." Martin Zeppenfeld, der das Konzept ursprünglich erdacht hat, erklärt den Bremsmechanismus genau: "Zunächst zirkulieren die Moleküle in einem äußeren Speicherring mit einem Durchmesser von 40 Zentimetern, der aus zwei statischen und zwei rotierenden Elektroden besteht. Von dort sammelt ein elektrischer Quadrupol-Leiter die Moleküle an einem beliebigen Punkt ein und wirbelt sie entlang seiner nach innen spiralförmig gebogenen Struktur zur Drehachse (siehe Abbildung). Die Abbremsung vollzieht sich daher in zwei Schritten: Zunächst verringert sich die Geschwindigkeit der Moleküle, wenn sie vom Laborsystem in das rotierende System übertreten. Gleichzeitig aber sind sie der nach außen gerichteten Fliehkraft ausgesetzt. D.h. sie müssen auf ihrem Weg in die Mitte einen riesigen Berg bezwingen und werden dabei kontinuierlich abgebremst, bis sie schließlich fast zum Stillstand kommen."
An drei Molekülsorten, CH3F, CF3H, and CF3CCH, mit unterschiedlichen Massen und einem Dipolmoment von der Größenordnung 1,5 Debye haben die Wissenschaftler die neue Kühlmethode erfolgreich getestet. Zur Optimierung wurden sowohl die an den Elektroden liegende Spannung als auch die Drehgeschwindigkeit der Scheibe variiert. Unter den günstigsten Bedingungen ergaben sich Strahlintensitäten von mehreren Milliarden extrem kalten Molekülen (weniger als 1 Kelvin) pro Quadratmillimeter und Sekunde.
"Das Neue an unserer Zentrifugen-Kühlung ist ihre kontinuierliche Arbeitsweise, die hohe Intensität der resultierenden Strahlen, ihre Vielseitigkeit in der Anwendung sowie die relativ einfache Bedienung", erläutert Prof. Gerhard Rempe. "Aufgrund der Universalität der Zentrifugalkraft besteht die Möglichkeit, dass auch Atome, auf die sich die Laserkühlung nicht anwenden lässt, oder sogar kalte Neutronen damit angebremst werden können."
Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler die kalten Moleküle in einer elektrischen Falle in größerer Menge sammeln und darauf die ebenfalls in der Gruppe entwickelte Methode der Sisyphuskühlung anwenden. Damit ließe sich die Phasenraumdichte soweit erhöhen, dass gezielte Stoßexperimente zwischen großen Molekülen erstmals möglich werden. Auch die Bildung entarteter Quantengase aus polaren Molekülen, oder die Realisierung von Quantenrechnern und Quantensimulationen mit Molekülen als Quantenbits kommen damit in Reichweite.
Quelle: Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ)