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30.06.2024

23.08.2012

Effiziente Katalyse an chiralen Oberflächen

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Praxis ist, wenn alles funktioniert, aber niemand weiß warum. Dieser saloppe Spruch lässt sich auch auf chemische Verfahren übertragen. "Das Verfahren der sogenannten heterogenen asymmetrischen Katalyse ist an sich sehr einfach anzuwenden und funktioniert bestens", sagt Alfons Baiker, emeritierter Professor für Reaktionstechnik und Katalyse, "das Verständnis dafür, wie sie funktioniert, ist für die Forschung dagegen eine große Herausforderung." In einer soeben in der Fachzeitschrift "Angewandte Chemie" erschienenen Arbeit beschreiben Baiker und seine Mitarbeiter nämlich einen Mechanismus, dem es zu verdanken ist, dass beim erwähnten katalytischen Verfahren ein nicht-chiraler Ausgangsstoff zu über 90 Prozent in eines von zwei möglichen chiralen Produkten, eine Vorstufe von Vitamin B5, umgesetzt wird.

Chiralität als Herausforderung

Chirale Moleküle sind solche, die in zwei Spiegelformen vorkommen, sogenannten Enantiomeren. Sie sind chemisch gleich zusammengesetzt, verhalten sich aber wie die rechte zur linken Hand: Übereinandergelegt lassen sie sich nicht zur Deckung bringen. Weil sich die beiden Enantiomere in ihrer biologischen Wirkung unterscheiden, ist es beispielsweise bei der Herstellung von Feinchemikalien, Pharmazeutika, Geschmacks- und Duftstoffen oder auch Düngemitteln essenziell wichtig, nur eines von zwei möglichen Formen zu produzieren. In einer chemischen Reaktion eine hohe Enantiomerreinheit zu erzielen, ist allerdings eine Herausforderung. Erreicht werden kann dies unter anderem durch gewisse Katalysatoren, die ein bestimmtes Reaktionszentrum schaffen, um so die Chiralität (Händigkeit) eines Produktes kontrolliert zu bestimmen. Fachleute sprechen dabei von "asymmetrischer Katalyse".

Spezielles Katalyseverfahren nötig

Die ETH-Chemiker um Alfons Baiker arbeiteten mit einer speziellen Form dieses Katalyseverfahrens, der sogenannten heterogenen asymmetrische Katalyse, und analysierten diese im Detail. Bei dem Verfahren wird ein katalytisch aktives Edelmetall, in diesem Fall Platin, mit einem geeigneten chiralen Molekül so modifiziert, dass dessen Oberfläche ebenfalls händig wird. Das Edelmetall selbst ist achiral. Der Modifikator bindet den in Lösung vorliegenden Ausgangsstoff derart, dass bei der Reaktion fast nur noch eines der beiden Enantiomere gebildet wird.

Im nun untersuchten Fall ist der Modifikator Cinchonidin, das sich an der Platinoberfläche anheftet. Die Ausgangssubstanz, das Ketopantolakton, bindet sich in einer ganz spezifischen Weise an den Modifikator und nimmt Wasserstoffatome von der Metalloberfläche auf, so dass (R)-Pantolakton, eine in der Industrie häufig verwendeten Vorstufe von Vitamin B5, gebildet wird.

Bereits vor Jahren fanden Alfons Baiker und seine Mitarbeiter heraus, dass sich der Modifikator und das Substrat über eine Wasserstoffbrücke zwischen einem Stickstoff- und einem Sauerstoffatom aneinander binden. Die Chemiker nahmen deshalb an, dass es für eine erfolgreiche Reaktion nur diese eine Bindung braucht, konnten damit aber die gut funktionierende, "hochprozentige" Umsetzung von Ketopantolakton in (R)-Pantolakton nicht ausreichend erklären.

Neue Wechselwirkung als Zünglein an der Waage

Mit speziellen, von ihnen selbst entwickelten komplexen Analysemethoden, ist es den ETH-Chemikern nun gelungen, eine weitere wichtige Wechselwirkung zwischen Modifikator und Substrat zu identifizieren. Die Forscher klärten dabei die mögliche Struktur des Modifikator-Substrat-Komplexes im Detail auf. Dabei stießen sie auf eine bisher unbekannte Wechselwirkung zwischen den beiden Substanzen: eine Wasserstoff-Bindung, die an einer bestimmten Stelle eine Brücke zwischen zwei Sauerstoff-Atomen der beiden Moleküle bildet. "Diese Wechselwirkung war zuvor nicht bekannt und hat einen wesentlichen Einfluss auf die kontrollierte Bildung des gewünschten Enantiomers", sagt Baiker.

Einen wesentlichen Anteil haben zudem die Modifikator-Moleküle, die auf der Platinoberfläche anheften. Sie haben ein bewegliches "Kopfteil", was die Bildung der entscheidenden Bindungen mit dem reagierenden Molekül erleichtert. Das konnte die Forschungsgruppe in früheren Arbeiten mittels der Rastertunnel-Mikroskopie nachweisen. Sind zu viele der sperrigen Modifikatoren auf der Metalloberfläche vorhanden, nehmen sie ihre bevorzugte Stellung nicht mehr ein. Das führt dazu, dass nicht mehr nur das gewünschte Enantiomer produziert wird.

Maßgeschneiderte Modifikatoren herstellen

Alfons Baiker forscht mit seiner Gruppe an der heterogenen asymmetrischen Katalyse seit über 20 Jahren. Für ihn ist seine neuste Publikation allerdings "nur" eine von über 220 Veröffentlichungen, die über diese Art der Katalyse im Lauf der Zeit aus seiner Gruppe hervorgegangen ist.

Weshalb aber wollen die Forscher wissen, welcher Mechanismus und welche Bindungstypen dieser Katalyse zu Grunde liegen? "Unter anderem damit wir ,maßgeschneiderte" Modifikatoren für die chirale Modifikation von aktiven Metalloberflächen herstellen können", sagt Baiker. "Die Struktur und die Bindungstypen von Modifikator und Substrat müssen zueinander passen, um die asymmetrische Katalyse effizient durchführen zu können."

Heterogene Katalyse mit Pluspunkten

Die chemische Industrie verwendet die asymmetrische heterogene Katalyse bis heute eher selten. Sie setzt vor allem die homogene Katalyse ein, bei der Katalysator und Substrat in flüssiger Phase vorliegen. Die heterogene asymmetrische Katalyse besitzt laut Baiker aber mehrere handfeste technische Vorteile, wie beispielsweise eine einfachere Abtrennung, Regeneration und Rezyklierung des Katalysators. Zudem ermöglicht sie, Produktionsprozesse leichter zu führen. Dies sei neben den gewonnenen Grundlagenkenntnissen von chiralen Oberflächen die Haupttriebfeder für seine Katalyseforschung, so der Emeritus.

"Gelingt es uns, Metalloberflächen spezifisch für eine bestimmte Reaktion mit chiralen Molekülen zu modifizieren, kann das für die Herstellung von enantiomerreinen Verbindungen von großer Bedeutung werden", sagt Baiker. Interessant sei beispielsweise die Möglichkeit, in einem kontinuierlichen Produktionsprozess durch Auswechseln des Modifikators von der Herstellung des einen zur Herstellung des anderen Enantiomers zu wechseln. Damit lassen sich in einem Arbeitsgang Produkte unterschiedlicher Chiralität herstellen.

Quelle: ETH Zürich