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30.06.2024

20.08.2012

Kondensation auf Oberflächen: Kleine Tropfen wachsen anders

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Dass feine Tautröpfchen Spinnennetze, Grashalme oder gar Insekten in atemberaubende Schönheiten verwandeln können, ist unumstritten. Und bei genauem Betrachten bilden selbst die Tropfen, die beispielsweise beim Abkühlen einer Suppe die Unterseite von Frischhaltefolie oder Topfdeckeln überziehen, erstaunlich regelmäßige und ansprechende Muster. Welchen Gesetzen Entstehung und Wachstum solcher Tropfen gehorchen, haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) jetzt erstmals umfassend untersucht. Ihre aufwändigen Computersimulationen und Experimente zeigen, dass vor allem der Beginn dieser Wachstumsphase anders verläuft, als bisher gedacht: Die kleinsten Tropfen wachsen im Verhältnis merklich schneller als ihre größeren Brüder. Die neuen Ergebnisse sind besonders für Bewässerungs- und Kältetechniken von Bedeutung.

Schlägt sich Feuchtigkeit auf einer kühleren Oberfläche nieder, geschieht dies Schritt für Schritt: Einzelne Wassermoleküle vereinigen sich zunächst zu winzigen Tröpfchen von nur wenigen Mikrometern. Während diese weiter an Größe zunehmen, wachsen in den Zwischenräumen ununterbrochen kleinere Exemplare nach, die sich mit der Zeit mit ihren größeren Brüdern vereinigen können. Bisher gingen Forscher davon aus, dass die Verteilung der Tröpfchengröße einem festen Gesetz folgt - unabhängig davon, ob es sich um die frühe, mittlere oder späte Wachstumsphase handelt: Während kleine Tröpfchen häufig vorkommen, treten solche mit zunehmender Größe immer seltener auf. Solche so genannte Potenzgesetze beschreiben zahlreiche Verteilungen in Natur und Technik, etwa die der Größe von Mondkratern, die Häufigkeitsverteilung von Elementen in der Erdkruste und von Wörtern in Texten.

Die jüngsten Ergebnisse der Göttinger Wissenschaftler zeigen jedoch, dass ein und dasselbe Gesetz nicht die gesamte Wachstumsphase der Tröpfchen treffend beschreibt. Besonders zu Beginn des Wachstums - also sozusagen in der frühen Kindheit der Tröpfchen - folgt ihr Verhalten nicht den Vorgaben der Skalentheorie. "Zwar gibt es nach wie vor viel mehr kleine Tropfen als große. Doch man beobachtet deutlich weniger kleine Tröpfchen als erwartet", beschreibt Prof. Dr. Jürgen Vollmer vom MPIDS, der die Studie leitete, die Ergebnisse.

Um diese Abweichungen festzustellen, muss man ganz genau hinsehen. Mit ihrem Team betreiben Vollmer und Dr. Björn Hof, ebenfalls Wissenschaftler am MPIDS, die Kunst des "Tropfenzählens" auf zweierlei Art: im Experiment und in der Simulation am Computer. "Der grundsätzliche Aufbau des Experiments erinnert an einen Topf mit kochendem Wasser und einen Deckel", beschreibt Dr. Tobias Lapp. In einem Behälter, der oben mit einer durchsichtigen Folie verschlossen ist, erhitzen die Forscher Wasser unter genau kontrollierten Bedingungen. Eine Kamera, die oberhalb der Folie angebracht ist, erzeugt sechsmal pro Sekunde eine Momentaufnahme des Tröpfchenmusters. Mit speziell entwickelten Computerprogrammen lassen sich die Aufnahmen dann auswerten. "Dafür muss jeder Tropfen als solcher erkannt und einer bestimmten Größenklasse zugeordnet werden", so Lapp.

Zweites Standbein der neuen Studie sind numerische Simulationen. "Am Rechner lässt sich das Niederschlagen der Feuchtigkeit auf einer Oberfläche gut nachvollziehen", erklärt Vollmer. "Und zwar Tröpfchen für Tröpfchen." In den Simulationen trifft das Wasser gleichmäßig auf eine Fläche und bilden dort zunächst winzige Tröpfchen, die durch den weiteren Niederschlag von Wasser allmählich wachsen. Immer wieder kommt es dabei zu Zusammenstößen, bei denen sich mehrere kleinere zu einem großen Tröpfchen zusammenfinden. "Um den Wachstumsprozess genau zu verfolgen, müssen wir sowohl die winzigen jungen Tropfen, als auch die deutlich älteren großen gleichermaßen numerisch im Blick haben", erklärt Johannes Blaschke, der die Simulationen in seiner Master-Arbeit entwickelte und durchführte, die Schwierigkeit der Methode. Zudem war es nötig, über mehrere hundert Simulationen zu mitteln. "Einen solchen numerischen Aufwand hat bisher noch niemand betrieben."

Der Lohn der aufwändigen Tröpfchenzählerei: Die Forscher konnten sowohl in der sehr frühen, als auch in der sehr späten Wachstumsphase einen deutlichen Wachstumsknick identifizieren. "Das Potenzgesetz ist somit nicht mehr haltbar", bilanziert Vollmer und ergänzt: "In den Experimenten finden sich mehr Ausnahmen als Kandidaten, die der Regel folgen."

Auch um das neue Ergebnis zu erklären, muss man das Tröpfchenwachsen ganz genau betrachten. Grundsätzlich gibt es drei Mechanismen, durch welche sich ein bestehendes Tröpfchen vergrößern kann. Zwei etwa gleichgroße Tropfen können verschmelzen, ein kleines Tröpfchen kann sich bis zum Rand eines deutlich größeren ausdehnen und dann geschluckt werden und die Tröpfchen wachsen durch den Niederschlag. "Sowohl zu Beginn als auch gegen Ende eines Tröpfchenlebens sind einige dieser Prozesse sehr ineffizient", ergänzt der Physiker. Am Anfang etwa sind die Tröpfchen noch so weit verteilt, dass sie auch viel Wasser einfangen, das zunächst in ihrer Nachbarschaft landet und dann über die Oberfläche zu ihnen wandert. Gegen Ende des Wachstumsprozesses existieren bereits so viele Tropfen, dass die Nachbarn solche "indirekten Treffer" aufnehmen. Die besonders großen Tropfen hingegen, treffen kaum noch auf größere, von denen sie geschluckt werden.

Die Ergebnisse der Forscher könnten in Zukunft auch technischen Anwendungen zu Gute kommen, die auf die speziellen Eigenschaften von Tropfen setzen. Da sie effektiv Wärme aufnehmen können, sind sie etwa in der Kältetechnik besonders gefragt. Genaue Kenntnis ihres Entstehungsprozesses könnte hier zu energiesparenderen Methoden führen. Und auch moderne und wassersparende Bewässerungsmethoden leben davon, gezielt Tröpfchen zu erzeugen.

Quelle: Max-Planck-Gesellschaft