27.02.2003
Negative wirtschaftliche Auswirkungen der EU-Chemikalienpolitik überbewertet
"Eine stärker am Umwelt- und Gesundheitsschutz orientierte Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe, wie sie die Europäische Union will, vermindert die mit der Anwendung von Chemikalien verbundenen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Risiken." Dieses Fazit zieht der Präsident des Umweltbundesamtes, Prof. Dr. Andreas Troge, aus einem Fachgespräch. "Die ökonomischen Vorteile der neuen Chemikalienpolitik sind nicht von der Hand zu weisen", so Troge weiter. Eine bessere Transparenz über Stoffgefahren in der Produktkette führe zum Gebrauch sicherer Chemikalien, mindere die wirtschaftlichen Risiken der Stoffanwender und verringere die hohen Kosten durch chemikalienbedingte Berufskrankheiten. Das UBA hatte Anfang Februar 2003 die Vertreter führender Wirtschafts- und Umweltforschungsinstitute zu einem Fachgespräch eingeladen, um grundsätzliche methodische Fragen zur Prognose möglicher wirtschaftlicher Folgen der neuen EU-Chemikalienpolitik zu erörtern. Der Tenor: Die Belastungen der Industrie werden weit niedriger liegen, als es beispielsweise der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) befürchtet.
Hintergrund: Mit dem so genannten Weißbuch plant die Europäische Union (EU), die Chemikalienpolitik der Gemeinschaft grundlegend zu reformieren, um ein höheres Niveau des Schutzes der Gesundheit und der Umwelt zu erreichen. Hierzu sollen in einem Stufenplan für alle Stoffe durch die Hersteller selbst Daten zu diesen Stoffen vorgelegt und eine Risikobewertung vorgenommen werden. Auch die gewerblichen Anwender der Stoffe sollen für den sicheren Umgang verantwortlich sein. Besonders gefährliche Stoffe sollen einer Zulassungspflicht unterliegen.
Diese Gesetzgebung hat wirtschaftliche Auswirkungen auf die Hersteller, Importeure und Anwender von Stoffen. Die EU-Kommission hat in einigen Studien bereits bestimmte Aspekte analysieren lassen. In Deutschland hat die Unternehmensberatung Arthur D. Little (ADL) die möglichen ökonomischen Folgen in drei Szenarien im Auftrag des BDI untersucht und dabei einen erheblichen Rückgang der Bruttowertschöpfung sowie einen Anstieg der Arbeitslosigkeit - je nach Szenario - um bis zu 2,35 Millionen Beschäftigte in den Raum gestellt.
Nach den Aussagen der am Gespräch im UBA beteiligten Fachleute liefert die Studie zwar wichtige Hinweise über die relative Bedeutung verschiedener Parameter der geplanten EU-Stoffpolitik. Hieraus lassen sich Schlussfolgerungen ziehen, an welchen Stellen das Konzept verbessert und Härten für einzelne Wirtschaftsbereiche vermieden werden können. Die in der ADL-Studie enthaltene Hochrechnung über die gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfungs- und Arbeitsplatzverluste sind jedoch methodisch nicht tragfähig und damit nicht verwertbar.
In dem vom Institut für Wirtschaftsforschung (ifo), München, geleiteten Gespräch wurde insbesondere festgestellt, dass in der ADL-Studie positive Wirkungen der neuen Stoffpolitik ausgeblendet wurden, und die Analyse von einem statischen Modell ausgeht, das Dynamik und Innovationskraft der Wirtschaft außer Acht lässt. Sie beruht zudem auf ungesicherten Industrieangaben. Die Studie enthält zwar zahlreiche wichtige Erkenntnisse, beispielsweise zu den Kostenimpulsen in der Textilindustrie, die eine Vielzahl an Stoffen verwendet, ist aber in der Analyse gesamtwirtschaftlicher Folgen fachlich und methodisch nicht belastbar.
Das UBA sieht im Gegensatz zum BDI im Konzept der neuen EU-Chemikalienpolitik zahlreiche Gesichtspunkte, die positive wirtschaftliche Auswirkungen haben dürften. So wird durch die Verbesserung des Stoffwissens über die bisher kaum untersuchten Altstoffe sowie Erleichterungen für Forschung und Entwicklung die Innovationskraft gestärkt. Durch den verbesserten Informationsfluss zwischen Chemikalienherstellern und Anwenderfirmen werden maßgeschneiderte, neue Lösungen für nachhaltige Chemikalienanwendungen entstehen, die auch international zu Wettbewerbsvorteilen führen. Der Arbeitsschutz wird erleichtert, das Haftungsrisiko vermindert und das Vertrauen von Verbrauchern sowie Unternehmen in die Produkte der chemischen Industrie gestärkt.
Quelle: Umweltbundesamt