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28.06.2024

02.11.2023

Donuts in der Partikelanalyse: Ein neues Messprinzip für die kontinuierliche Partikelcharakterisierung

Marko Simic , Christian Neuper, Ulrich Hohenester, BRAVE Analytics GmbH

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Das Messprinzip Optofluidische Kraftinduktion verwendet einen donut-förmigen Laserstrahl, um Partikel in Flüssigkeiten zu beschleunigen. Über diese Geschwindigkeitsänderungen können Partikelgröße sowie Partikelkonzentration ermittelt werden. Die Messung erfolgt kontinuierlich und erlaubt daher eine Online-Prozessüberwachung, das Monitoring von dynamischen Veränderungen und die Evaluierung von polydispersen Substanzen in Echtzeit. Hier wird die Funktionsweise von der Optofluidische Kraftinduktion erklärt und die Anwendung von OF2i am Beispiel einer multimodalen sowie hoch polydispersen Öl-in-Wasser-Lösung dargestellt.

Einleitung

An der medizinischen Universität Graz, Österreich, wurde in Zusammenarbeit mit der Universität Graz ein neuartiges Messverfahren "Optofluidische Kraftinduktion" (OF2i) entwickelt, welches die Methoden der optischen Pinzetten sowie der Mikrofluidik kombiniert, um Partikelgröße, -größenverteilung, -konzentration und, wenn möglich, auch die Form von Nanopartikeln zu bestimmen [1].

Die Anwendung des OF2i-Messprinzips ermöglicht die Untersuchung von dynamischen Prozessen und Partikelsystemen über sehr lange Zeiträume mit einer zeitlichen Auflösung im Sekundenbereich. Es kann sowohl als online Prozessanalysentechnik (PAT) als auch als Labormessgerät eingesetzt werden.

Funktionsweise OF2i

OF2i - "OptoFluidic Force Induction" - verwendet das Licht als Werkzeug, ähnlich der Methode der "Optischen Pinzette", für deren Erfindung Arthur Ashkin 2018 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde. Mit der Optischen Pinzette kann man Partikel einfangen und auch manipulieren.

Bei OF2i werden in Flüssigkeit gelöste Partikel durch einen mikrofluidischen Kanal innerhalb einer Messzelle gepumpt (Abbildung 1a). Zudem wird ein Laserstrahl höherer Ordnung - ein sogenannter Vortex-Strahl - in die Messzelle fokussiert, welcher das optische Einfangen einzelner Partikel in transversaler Richtung erzielt. Die optischen Kräfte bewirken größenabhängige Geschwindigkeitsänderungen jedes Partikels in Ausbreitungsrichtung des Laserstrahls. Indem man nun die Geschwindigkeit einzelner Partikel misst, kann man auf die Größe der Nanopartikel rückschließen.

Der Einsatz des donut-förmigen Vortex-Lasers bietet den Vorteil, dass Partikel verschiedenster Größen auf dem ringförmigen Intensitätsprofil eingefangen werden. Unterschiedlichen Partikelpopulationen können so parallel und mit einem Durchsatz von bis zu 4.000 Partikeln pro Minute vermessen werden. [2]

Die Geschwindigkeitsänderungen der Partikel in der Messzelle werden gemessen und mithilfe eines theoretischen Modells ausgewertet, welches parameterfrei ist und OF2i zu einem kalibrierungsfreien System für den Anwender macht. Das Modell basiert auf den Maxwell-Gleichungen sowie der generalisierten Mie-Theorie und beschreibt die Bewegung einzelner Partikel innerhalb der Messzelle. Abbildung 1b zeigt zwei simulierte Partikeltrajektorien und veranschaulicht eine weitere Besonderheit der OF2i-Methode: Partikel bewegen sich auf spiralförmigen Bahnen um die optische Achse des anregenden Laserstrahls. Dies liegt einer besonderen Eigenschaft der hier eingesetzten Vortex-Lasermode zugrunde.

Schematische Darstellung OF2i
Abb.1: Schematische Darstellung von OF2i. (a) Messzelle und Kapillare: Die zu untersuchenden Partikel werden durch einen mikrofluidischen Kanal gepumpt und interagieren mit einem schwach fokussiertem Laserstrahl höherer Ordnung. (b) Optische und fluidische Kräfte bewirken Geschwindigkeitsänderung von Einzelpartikeln entlang des Laserstrahls.

Neben den optischen Kräften wird zusätzlich ein optisches Drehmoment auf Partikel übertragen, das ein Überholen von unterschiedlich großen und schnellen Partikeln ermöglicht, im Prinzip wie auf einer mehrspurigen Autobahn. Dies ebnet in weiterer Folge den Weg zur Vermessung von höchst polydispersen und multimodalen Proben über einen Größenbereich von wenigen zehn Nanometern bis hin zu mehreren Mikrometern. [2]

Anwendung bei niedrig konzentrierten Proben

Da es sich um ein neues Messprinzip auf dem Markt handelt, werden derzeit Erfahrungen mit dem Umfang und den Grenzen der Messung gesammelt. Eine der ersten Anwendungen von OF2i war die Untersuchung der Auslaugung von Nano- und Mikroplastik aus Plastikflaschen als Funktion der Zeit. Hier spielen sowohl die Partikelgröße als auch die -konzentration eine wichtige Rolle. Weitere Anwendungen im Niedrigkonzentrationsbereich sind der Nachweis von Nanoschadstoffen (aus Autoreifen) in Oberflächengewässern und die Bewertung von Trinkwasser vor und nach der Filterung mit einem neuartigen Filteransatz.

An der Medizinischen Universität Graz wird OF2i derzeit zur Untersuchung der Bildung von Biokondensaten eingesetzt, um Medikamente zu entwickeln, die diese molekularen Prozesse besser regulieren können. Dies erfordert die Analyse und Überwachung von Veränderungen in der Größenverteilung von Proteinen über die Zeit.

OF2i in der Prozessüberwachung

Neben seinem breiten Anwendungsspektrum in der Forschung kann OF2i als PAT-Sensor zur Überwachung und Steuerung der Produktion von Flüssigformulierungen eingesetzt werden. Der OF2i PAT-Sensor entnimmt automatisch eine Probe aus der Produktionslinie in einen Bypass, verdünnt sie und analysiert die Partikelgröße und Partikelkonzentration in einem Intervall von 4 bis 10 Sekunden. Abbildung 2a zeigt die kontinuierliche Messung der Partikelgrößen (Streudiagramm) sowie die berechneten Größenverteilungen (volumenbasiert) einer Öl-in-Wasser-Emulsion innerhalb eines Hochdruck-Homogenisierungsprozesses. Die dargestellten Werte wurden über einen längeren Zeitraum aufgezeichnet. Das unmittelbare Ziel ist es, Veränderungen der Homogenisierungsbedingungen im Herstellungsprozess frühzeitig zu erkennen, um bei der Qualitätskontrolle die Ausfallzeiten und Ausschussraten der Produkte zu minimieren. Langfristiges Ziel ist die Etablierung einer zuverlässigen und zertifizierten Messung zur Echtzeit-Prozesskontrolle und vollautomatischen Echtzeit-Freigabe, um die Abhängigkeit von aufwändigen Offline-Methoden zu minimieren.

Eine Trendanalyse ermöglicht die Detektion des Änderungspunktes in der Größenverteilung (strichlierte Linie). Dies erlaubt in weiterer Folge eine Unterscheidung zwischen den Homogenisierungszuständen H1 und H2, wobei H2 durch eine auslaufende Größenverteilung und deutliche geringere Konzentration charakterisiert ist und somit nicht den hohen Qualitätsanforderungen entspricht. [2]

Dieses Ergebnis wird durch D-Werte unterstützt (Abb. 2b, volumenbasiert). D-Werte (engl. "D-Values") werden aus der kumulativen Partikelgrößenverteilung berechnet und sind eine leicht zu interpretierende und oft verwendete Größe in der Partikelanalyse. Ein D50-Wert von 500 nm bedeutet beispielsweise, dass 50 % des gemessenen Volumens aus Partikeln besteht, deren Durchmesser <500 nm beträgt. Am Änderungspunkt in Abbildung 2b zeigen die D-Werte einen deutlichen Anstieg der Partikeldurchmesser innerhalb kürzester Zeit. Dieser lässt sich durch die hohe Zeitauflösung des OF2i-Systems klar erkennen. Alle gemessenen Größen werden über eine geeignete Schnittstelle als Prozess-Feedbackparameter genutzt, um frühzeitig in den Prozess einzugreifen. [2]

Kontinuierliche Vermessung einer Emulsion
Abb.2: Kontinuierliche Vermessung einer Öl-in-Wasser-Emulsion. (a) Streudiagramm und Histogramm zu vermessenen Partikeldurchmessern. Über eine Trendanalyse können zwei Homogenisierungszustände (H1, H2) identifiziert werden. (b) Zugehörige D-Werte als Funktion der Zeit, die mithilfe der kumulativen Partikelgrößenverteilung berechnet werden.

Ausblick und weitere Auswertemöglichkeiten

Das Optofluidische Kraftinduktionsprinzip wird über ein Spin-Off der Medizinischen Universität Graz vertrieben und weiterentwickelt. Das OF2i-Laborgerät liefert bereits Erkenntnisse über biophysikalische Prozesse, die für die Entwicklung von Impfstoffen benötigt werden. Der Produktlaunch des PAT-Sensors wird 2024 erfolgen. Zurzeit werden Entwicklungspartner gesucht, um vor allem den PAT-Sensor in Pilotanlagen zu optimieren und an die industriellen Anforderungen anzupassen.

Gleichzeitig wird auch an künftigen Erweiterungsmodulen gearbeitet. In mehreren Projekten wird zurzeit daran geforscht, vorwärts gestreutes Licht auszuwerten, welches Information über Größe und Form von sehr niedrig konzentrierten, übergroßen Partikeln (LPC) liefern kann. Zusätzlich wird daran gearbeitet, das Prozessfeedback von OF2i zu erweitern, um (Raman-)spektroskopische Informationen mit Einzelpartikelgenauigkeit zu erhalten. Hierbei wurden bereits erste vielversprechende Ergebnisse am Beispiel von Nanoplastik in Wasser erzielt.

Literatur

  1. Simic, M. et al. (2022). Real-Time Nanoparticle Characterization Through Optofluidic Force Induction. Physical Review Applied, 18(2), 024056.
  2. Simic, M. et al. (2023). Optofluidische Kraft Induktion für Echtzeit-Partikelcharakterisierung. GIT-Laborzeitschrift (Wiley Analytical Science), 6/2023.

Urheber der Abbildungen

Marko Simic, Universität Graz, BRAVE Analytics


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