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30.06.2024

18.06.2024

Im Chemielabor der Zukunft

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Eine Flamme zischt aus dem Bunsenbrenner, in einem Becherglas siedet Wasser und im Hintergrund summen und blinken Messgeräte. Hendrik Peeters wiegt eine Portion Natriumhydroxid ab und beobachtet den Temperaturverlauf beim Lösen des Stoffes in Wasser. Das alles wirkt verblüffend real, doch Peeters, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Chemiedidaktik an der Universität Paderborn, befindet sich in einem virtuellen Chemielabor.

Vor ihm erstrecken sich Regale mit Reagenzgläsern, Flaschen mit Chemikalien und die vertraute Arbeitsbank mit allem nötigen Equipment. Seit zwei Jahren erproben Studierende der Universität das "VirtuChemLab", in dem zukünftig orts- und zeitunabhängig Versuche durchgeführt und so grundlegende Vorgänge der laborpraktischen Arbeit erlernt werden sollen. Möglich wird das durch den Einsatz von Virtual Reality (VR).

Durch Controller mit virtueller Umgebung interagieren

"Es ist beeindruckend, wie realistisch alles wirkt. Man fühlt sich, als wäre man wirklich im Labor, nur dass man hier mehr Freiheiten hat", sagt Peeters, während er mit einer Hand die Gaszufuhr des Brenners schließt. Mithilfe von Controllern, die seine Handbewegung präzise erfassen, kann er mit seiner virtuellen Umgebung interagieren. "Durch verschiedene Versuche lernen die Studierenden, wie chemische Prozesse ablaufen und Substanzen miteinander reagieren. Ein Beispiel ist das Lösen von Natriumhydroxid in Wasser, bei dem die durch den Löseprozess bedingte Temperatur- und pH-Wert-Änderung gemessen werden kann", erklärt Jan-Luca Hansel, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fachgruppe "Theorie verteilter Systeme" des Instituts für Informatik, die die Weiterentwicklung des virtuellen Labors im Rahmen des Projekts "VR@UPB" leitet.

Die grundlegende Idee von "VR@UPB" ist es, auf verschiedenen Ebenen die Infrastruktur für einen virtuellen Campus zu schaffen, bei dem sich Lehrende und Studierende einbringen können. "Laborpraktika sind essenzieller Bestandteil naturwissenschaftlicher Studiengänge. Gerade zu Beginn zeigt sich allerdings, dass Studienanfänger*innen mit unterschiedlichen praktischen Erfahrungen aus der Schule an die Universität kommen. Das virtuelle Chemielabor soll dieser Diskrepanz Rechnung tragen", erklärt Peeters.

Dabei bringe die virtuelle Realität auch abseits der Chemie spannende neue Möglichkeiten für den Uni-Alltag. "Neben Anwendungen wie unserem virtuellen Labor wäre es beispielweise auch denkbar, in Seminaren Nachbildungen ferner oder antiker Orte virtuell zu besuchen. Das macht Themen greifbarer und ist sicherlich auch eine willkommene Abwechslung zum Lesen von Texten", so Hansel. Finanziert durch Fördermittel der Universität in Höhe von rund 957.000 Euro, vereint das Projekt Expertise aus den Bereichen Chemie, Chemiedidaktik, Informatik, Anglistik, Medienwissenschaften und dem Zentrum für Informations- und Medientechnische Dienste (ZIM).

Experimente mit nahezu allen chemischen Elementen

Prinzipiell sind im virtuellen Labor Experimente mit nahezu allen chemischen Elementen möglich. So könnten zukünftig auch Experimente zum Thema Wasserstoff realisiert werden. Beispielsweise ließe sich dann mit einem virtuellen Hofmannschen Zersetzungsapparat die Elektrolyse von Wasser zur Herstellung von Wasserstoff durchführen - ein zukunftsweisendes Thema.

Peeters entwirft eine Vision des Versuchs: "Zuerst wird die Apparatur mit verdünnter Schwefelsäure gefüllt, um die elektrische Leitfähigkeit zu erhöhen. Nach dem Anschließen der Elektroden an die Stromquelle schalten die Studierenden das Netzgerät ein. Sofort beginnen kleine Bläschen aufzusteigen - ein Zeichen dafür, dass auf der einen Seite Sauerstoff und auf der anderen Seite Wasserstoff entsteht. Mit etwas Geschick kann danach der Wasserstoff in ein Reagenzglas abgefüllt und vorsichtig zur Brennerflamme geführt werden. Ein leises 'Plopp' bestätigt, dass es sich um Wasserstoff handelt - die Knallgasprobe war erfolgreich."

Zusammenarbeit im virtuellen Raum

Um die Laborbedingungen noch realistischer zu machen, gibt es im "VirtuChemLab" einen Multiplayer-Modus. Dieser ermöglicht, dass mehrere Studierende gleichzeitig im virtuellen Labor arbeiten und von Lehrenden unterstützt werden. Über die in der VR-Brille verbauten Mikrofone und Kopfhörer können sie miteinander kommunizieren, als stünden sie nebeneinander. Zusätzlich gibt es einen virtuellen Seminarraum für Besprechungen, Präsentationen und den Austausch von Dokumenten.

Neue Versuchsabläufe können Anwender auch ohne vorherige Programmier- oder Softwarekenntnisse hinzufügen. Künftig soll es außerdem einen Mechanismus geben, mit dem das VR-System auf die Handlungen der Studierenden im Labor in Form von Feedback oder Hilfestellungen interaktiv eingehen kann. "Dass man hier die Arbeitsbank und Materialien nicht aufräumen und reinigen muss, sondern das Programm einfach beendet, ist sicherlich auch ein Vorteil", sagt Peeters lächelnd und nimmt die VR-Brille ab.

Quelle: Universität Paderborn