21.05.2019
Wie sich das Eiweiß vom Dotter trennt
Ein zentraler Prozess für die Entwicklung einer Fischlarve ist die Entmischung des Dotters vom ihn umgebenden Cytoplasma im frühen Embryonalstadium. Um herauszufinden, wie diese Segregation gesteuert wird, haben sich Biologen des Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) mit Kollegen der theoretischen Physik zusammengetan und die Eizelle des Zebrafisches untersucht. Das Ergebnis: Die Phasentrennung basiert auf einem Spiel physikalischer Kräfte mit Proteinen tiefliegender Zellbereiche.
Ein einzelliges Fischei entwickelt sich nach der Befruchtung innerhalb von nicht einmal zwei Stunden zu einem mehrzelligen Embryo. Während dieser Zeit muss sich das Cytoplasma, das später den Körper des Tiers bildet, vollständig vom Dotter, der die Larve ernähren wird, trennen.
Bis dato waren Biologen der Ansicht, dass eine lokale Ausdehnung der Zelloberfläche an einem Pol des Eis diesen Segregationsprozess auslöst. Eine Bestätigung dieses Modells lag jedoch nicht vor.
Das Gelbe vom Ei aus Laborexperimenten und physikalischer Theorie
Um die Mechanismen zu beschreiben, die diesen Segregationsprozess steuern, suchte Shayan Shamipour, PhD-Student in der Forschungsgruppe des Zell- und Entwicklungsbiologen Carl-Philipp Heisenberg, die Zusammenarbeit mit dem theoretischen Physiker Edouard Hannezo. Durch Bündelung ihrer unterschiedlichen Forschungsexpertisen konnten die Autoren-unter ihnen mit Björn Hof zudem ein dritter IST Austria-Professor-nun aufzeigen, dass, entgegen der vorherrschenden Meinung, die Kräfte an der Zelloberfläche nicht unbedingt eine Rolle bei der Segregation spielen.
Stattdessen ermöglicht laut Shamipour et al. eine Kombination physikalischer Zug- und Schubkräfte im Inneren des Embryos die Entmischung von Cytoplasma und Eidotter. Ganz entscheidend ist dabei, dass die Theorie, die die Wissenschafter für die Beschreibung dieses Prozesses entwickelt haben, auch auf jeglichen anderen Segregationsvorgang anwendbar ist, der auf dem physikalischen Kräftespiel einer biologisch aktiven Flüssigkeit (wie eben jener in einer Eizelle) basiert. Demnach könnten mit dieser Theorie auch potenziell ähnliche Prozesse im Säugetier- bzw. im menschlichen Embryo beschrieben werden.
Auf die Größe kommt es an
Wie aber entstehen die erwähnten Zug- und Schubkräfte, die den Dotter vom Cytoplasma trennen? Im Zellinneren, weit unterhalb der Zelloberfläche, bilden Aktin- und Myosinfilamente-Proteine, die auch an der Muskelkontraktion beteiligt sind-ein dichtes Netz. Polymerisationsvorgänge und Kontraktionen in diesem Netz lösen Aktinströme in Richtung des animalen, für die Organanlagen verantwortlichen Eipols aus. Über passive Reibungskräfte ziehen diese Aktinströme das viskose Cytoplasma mit sich. Die größer dimensionierten Dottergranulate hingegen folgen aufgrund geringerer Reibungskräfte nicht dem Aktin zum animalen Pol, sondern werden von anderen, kometenähnlich geformten Aktinstrukturen aktiv in Richtung des gegenüberliegenden vegetabilen Eipols geschoben.
Die Funktion dieser speziellen Aktinstrukturen war noch nie in Zusammenhang mit entwicklungsbiologischen Prozessen beschrieben worden. Die Kombination dieser Zug- und Schubkräfte ist es nun, die im Embryo eine stabile Entmischung von Cytoplasma und Dottergranulat sicherstellt.
Aus der Dunkelheit ans Licht
Durch die genauere Betrachtung der tieferen Bereiche der Eizellen von Zebrafischen konnte das multidisziplinäre Team aufzeigen, dass die Oberflächenausdehnung am animalen Pol nicht wie ursprünglich angenommen der ausschlaggebende Treiber für die Cytoplasma-Dotter-Entmischung ist. "Die Aktinstrukturen an der Zelloberfläche erscheinen sehr hell und sind daher leicht zu untersuchen. Vielleicht ist das der Grund, warum Wissenschaftler es bis dato schlichtweg verabsäumt haben, in die tiefer liegende dunklere Zellmasse zu schauen, die ja den größten Teil des Eis ausmacht", so Shayan Shamipour, Erstautor der Studie. Moderne bildgebende Verfahren ermöglichten es den IST Austria-Forschern, die kurz nach der Befruchtung stattfindenden Entwicklungsprozesse im Fischei genauer zu betrachten. Laut Shamipour lag ein weiterer Schlüssel zum Erfolg jedoch auch woanders: "Um die allerersten Momente der Zellentwicklung live miterleben zu können, mussten wir wirklich schnell sein: Sobald einer unserer Fische begann, seine Eier ins Wasser abzugeben, drückte ich auf meiner Stoppuhr auf 'Start' und musste jedes Mal einen Sprint hinlegen, um rechtzeitig im Mikroskopierraum zu sein und den Prozess aufzuzeichnen."
Von der Neugier getriebene Teamarbeit
Er habe, so Shamipour, die vorherrschende Meinung, dass Vorgänge an der Zelloberfläche verantwortlich für die Segregationssteuerung seien, schon länger hinterfragt: "Der Embryo verfolgt ein großes Ziel: Er muss sich innerhalb kürzester Zeit in tausende Zellen teilen. Für mich war daher klar, dass der Oberflächen-basierte Mechanismus alleine die Cytoplasma-Dotter-Segregation nicht bewerkstelligen kann und dass ein anderer Mechanismus zumindest nachhelfen muss, den Prozess zu beschleunigen."
Diese von reiner Neugier getriebene Haltung des jungen Wissenschafters gepaart mit einer-vom IST Austria besonders geförderten-interdisziplinären Forschungskultur der Gruppen rund um Heisenberg und Hannezo ermöglichten es Shamipour zentrale zelluläre Prozesse zu identifizieren und zu analysieren, die in vielen anderen Settings und Organismen von Relevanz sein könnten.
Quelle: Institute of Science and Technology Austria