02.04.2003
GDCh-Memorandum Analytik
Analytik ist eine interdisziplinäre wissenschaftliche Disziplin; deren stoffbezogener Bereich wird auch mit dem Begriff "Analytische Chemie" gekennzeichnet. Zu den Ergebnissen der Analytik gehören die Begriffe Menge und Güte, Quantität und Qualität. Stofflich-analytische Problemstellungen sind allgegenwärtig, und keineswegs nur in den naturwissenschaftlichen Disziplinen. Vielmehr dominiert oftmals die Analytik bereits in der industriellen Wertschöpfungskette. Immer mehr Qualitätsmerkmale werden Produkten und Prozessen zugeordnet, die einer zunehmenden Dominanz der Analytik in allen Lebensbereichen entsprechen. Unsere Gesellschaft fordert anstelle empirischer oder nur traditioneller Grundlagen für allgemeine oder industrielle Entscheidungen analytisch abgesicherte Daten und Urteile; so wird etwa die medizinische Diagnostik immer mehr von Methoden der analytischen und bioanalytischen Chemie geprägt. Stichworte wie Lebensmittelsicherheit oder Wasserbelastung, Treibhausgase oder Dopingtests, Genanalysen oder Echtheitsnachweise sind für jeden Bürger erkennbar mit den Leistungen der Analytischen Chemie verknüpft. Gute Analytik schafft Vertrauen und ist damit auch Voraussetzung für Produktion und Vermarktung.
Verantwortliche politische und wirtschaftliche Entscheidungen fußen schon länger auf ökologischen, d.h. aber umweltanalytischen Erkenntnissen. Noch wichtiger wird zukünftig das Konzept der Nachhaltigkeit (sustainability), das in noch höherem Maße analytische Kompetenz einfordert als jedes Konzept menschlichen Handelns zuvor. Kurz: Immer mehr politische, medizinische, juristische und wirtschaftliche Entscheidungen beruhen auf analytischen Daten. Das betrifft sowohl die staatliche Kontrolle von Schutzgütern wie Gesundheit, Umwelt, Sicherheit und Ressourcen, als auch die Steuerung des Handels und der Wirtschaftsprozesse. Ebenso basiert der entscheidende Entwicklungsschub für Hochtechnologien (Mikrochips, hochfeste Werkstoffe, medizinische Diagnostik) immer auf einer hochentwickelten Analytik.
Die zunehmende Globalisierung und das fortschreitende Zusammenwachsen Europas haben Handelshemmnisse an den Grenzen der Länder abgebaut. Ziel ist es, einen freien und ungehinderten Verkehr von Produkten und Dienstleistungen zu ermöglichen. Damit wird es jedoch nötiger denn je, die Qualität der Waren transparent zu machen. Denn erst begleitende Informationen über die Zusammensetzung, Reinheit oder Zuverlässigkeit einer Ware machen diese zu einem verkaufsfähigen Produkt. Um länderübergreifend ein einheitliches Vorgehen bei der Gewinnung analytischer Informationen zu gewährleisten, sind auf internationaler Ebene Richtlinien wie etwa Good Laboratory Practices (GLP), Good Manufacturing Practices (GMP) oder Normen für gutes analytisches Arbeiten (z.B. EN ISO 17025) eingeführt worden.
Diese Aspekte machen deutlich, daß Analytik fundamentale Bedeutung besitzt, die weiterhin zunehmen wird. Die Analytik ist eine Gemeinschaftsaufgabe von verschiedenen Partnern. Dazu gehören vor allem die Hochschulen, die Industrie, die Analytiklaboratorien, die Geräteindustrie sowie die Behörden. Daher benötigt Deutschland zukünftig mehr denn je entsprechend qualifizierte Analytiker, Laboratorien, Ausbildungs- und Forschungsstätten.
An nur 43% der deutschen Universitäten mit Fachbereichen oder Fakultäten Chemie gibt es nach einer Analyse der GDCh das Fach "Analytische Chemie"; in etwa der Hälfte der Fälle ist es mit dem Fach "Anorganische Chemie" verknüpft, da traditionell die Chemieanfänger anhand einfacher analytischer Laboraufgaben in das Fach Chemie eingeführt wurden. Einer Querschnittsdisziplin wie Analytischer Chemie mit zunehmenden Forschungsaufgaben im gesamten Bereich der Materialwissenschaft, der Lebenswissenschaft und der Medizin schadet eine solche falsche Zu- oder Unterordnung.
Infolge von Stellensparzwängen werden dann sogar auf Kosten der Analytischen Chemie überproportional Stellen gespart, umgewidmet oder vakant gehalten mit der Folge eines zukünftigen Mangels an qualifiziert Ausgebildeten. Gerade die Interdisziplinarität der Analytischen Chemie und der zukünftig zunehmende Bedarf an analytischen Experten erfordert eine Stärkung dieser Teildisziplin und eine gesicherte eigenständige, möglichst sogar fachbereichsübergreifende Positionierung. Noch vor der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes hat die GDCh in der "Würzburger Denkschrift" die Analytische Chemie nicht nur gleichrangig mit anderen Teildisziplinen des Faches Chemie eingestuft, sondern ausformulierte Studienmodelle (gestufter Studien) entwickelt, die eine flexible HRG-gerechte Anpassung an Ausbildungs- und Forschungserfordernisse ermöglichen. Die aus diesem Memorandum abgeleiteten Forderungen richten sich an Fachbereiche, Hochschulen, Länderministerien und die Institutionen der Forschungsförderung ebenso wie an Entscheidungsträger in der betroffenen Industrie und in der Politik.
Der zunehmende Anspruch der Gesellschaft, wichtige Entscheidungen auf der Basis belastbarer Daten und validierter Methoden zu treffen, erfordert eine Stärkung der analytischen Ausbildung und Forschung. Das Konzept der Nachhaltigkeit, wie es auch im Verhaltenskodex der GDCh eine zentrale Position einnimmt, erfordert eine erweiterte Konzeption der Lehre: Über den schwierigen Gegenstand der Naturwissenschaften hinaus die Erziehung zur Berücksichtigung von Folgewirkungen von Erkenntnissen und deren materieller Umsetzung. Hierin liegt eine der anspruchsvollsten Aufgaben der Hochschulen, die hohes chemisch-analytisches Verständnis vermitteln muß.
Die Fachbereiche / Fakultäten für Chemie und die Hochschulleitungen werden aufgefordert, die Analytische Chemie bei der Fort- und Neuentwicklung der Curricula zu stärken und deren interdisziplinäre Funktion zu sichern und zu nutzen.
Die zuständigen Länderministerien und Aufsichtsbehörden müssen bei ihrer Hochschulentwicklungs- und Kapazitätsplanung berücksichtigen, daß nicht nur der geregelte Bereich (Lebensmittelchemie, Pharmazie, Medizin) zunehmende Anforderungen an Qualität und Quantität von Forschung und Lehre in Analytischer Chemie stellt.
Qualitätsansprüche einer hochentwickelten Gesellschaft werden in allen Bereichen wachsen; unsere Wirtschaft kann im internationalen Wettbewerb nur erfolgreich bleiben, wenn "Made in Germany" auf einer Spitzenstellung der hiesigen analytisch-chemischen Forschung und ihrer Anwendungen beruht.
Die Forschungsförderung sollte deutliche Prioritäten setzen: Die chemisch-analytische Forschung ist darauf angewiesen, in der Methodenentwicklung eine Spitzenstellung einzunehmen und in der Anwendung ausdrücklich anspruchsvollste Themen zu bevorzugen. Nur eine qualitätsorientierte Forschungsförderung in stabilen interdisziplinären Forschungsstrukturen der Analytik schafft die Voraussetzungen, daß die Industrie (Gerätehersteller und Anwender) in immer weiteren Bereichen erfolgreich automatisierte oder bedienungstolerante zuverlässige Methoden anbietet, international vermarktet und nutzt.
Es liegt daher im langfristigen Interesse von Hochschule, Politik und Wirtschaft, starke Strukturen von Lehre und Forschung in Analytischer Chemie zu sichern.
Quelle: Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh)