Kristallstrukturanalysen der hydratisierten Cycloamylose 26 und ihrer Einschlusskomplexe mit Trijodid und Fettsäure
Nimz, Olaf - Freie Universität Berlin (2010)
Kohlenhydrate sind essentielle Bestandteile aller lebenden Organismen und bilden die am weitesten verbreitete Klasse von biologischen Molekülen. Polysaccharide, wie zum Beispiel Stärke, sind ein wichtiger pflanzlicher Energiespeicher und Hauptnahrung für viele Tiere. Amylose ist ein Hauptbestandteil von Stärke und besitzt sehr interessante strukturelle Eigenschaften.
Das lineare Polysaccharid Amylose besteht aus α(1-4) verknüpften D-Glukoseneinheiten in der gewöhnlichen 4C1-Sesselform. Es liegt in Stärkekörnern als eine Doppelhelix mit verwundenen, parallel orientierten Strängen mit einer 6 x 2 D-Glukosen pro 21,6 Å langen Windung vor. Abhängig vom Wassergehalt finden sich zwei verschiedene Packungszustände dieser Doppelhelices: die dicht gepackte A-Form in Getreide und die größere Mengen Wasser enthaltende und weniger dicht gepackte B-Form in Gemüse. Über den Drehsinn der Helices (links- oder rechtsdrehend) wird immer noch diskutiert, da keine Kristallstrukturen mit atomarer Auflösung für Fragmente der A- oder B-Form verfügbar sind.
Eine weitere Form der Amylose ist die V-Form (V = Verkleisterung), bei der das Polymer in einer linksgängigen Helix mit 6 Glukosen pro 8,1 Å hoher Windung und mit einem ungefähr 5 Å breiten Kanal vorliegt. Es wird aus wäßriger Amyloselösung durch Trocknung oder durch Zugabe von kleinen und/oder dünnen Molekülen wie zum Beispiel Jodid, Fettsäuren, Alkoholen, DMSO und vielen anderen erhalten. Diese Moleküle bilden Einschlußkomplexe mit V-Amylose, die intensiv mit Hilfe von Röntgenfaserdiffraktions studien und spektroskopischen Methoden untersucht wurden. Dabei ist seit seiner Entdeckung 1814 die blaue Jod-Stärke-Reaktion von Interesse. Die einzige offensichtliche Voraussetzung für die Bildung eines Einschlußkomplexes ist die Größe des Gastmoleküls, die zum etwa 5 Å weiten Kanal der V-Amylose passen muss.
In Abwesenheit einer Einkristallstruktur von Amylose wurden Fragmente mit V-Konformation, die Cyclodextrine, als Modellsystem benutzt. Das kleinste alpha-Cyclodextrin mit 6 D-Glukosen in einem Makrozyklus simuliert eine Windung der V-Amylosehelix. Erst vor kurzem sind sehr große Cyclodextrine (Cycloamylosen, CA) verfügbar geworden. Die erste Röntgenkristallstruktur eines Mitglieds dieser Familie von Molekülen, die Hydratstruktur von CA26 (eine Cycloamylose mit 26 D-Glukosen im Makrozyklus), zeigt eine Faltung die der Ziffer "8" entspricht. Die fast zwei Windungen langen V Amylosehelices sind in antiparalleler Orientierung und durch eine Pseudorotationsachse verbunden. Sie sind aus verwundenen Spiralen aufgebaut, die 10 D-Glukosen lang sind und linksgängige V-Amylosehelices in antiparalleler Orientierung bilden. Eine 8,1 Å hohe Windung wird aus 6 D-Glukosen gebildet und die zentralen Kanäle sind mit fehlgeordnetem Wasser gefüllt. Da diese Eigenschaften für V-Amylose charakteristisch sind, ist CA26 ein ideales Modell für dieses Amylosepolymorph.
Isothermale Titrationskalorimetriestudien (ITC) der Komplexbildung zwischen I3- und CA26-Analogen mit Kettenlängen von 21 bis 32 Glukosen wurden von Kitamura et al. publiziert. Diese Messungen wurden dahingehend interpretiert, dass CA26, in Übereinstimmung mit seiner Faltungsstruktur, zwei Bindungstaschen besitzt, die von I3- besetzt werden.
Diese Arbeit wird einen Beitrag durch die Beschreibung der Röntgenstrukturaufklärung der CA26-Einschlußkomplexe mit Trijodid und Fettsäure als Gastmoleküle leisten. Die Gastmoleküle sind in den V-Amylosekanälen eingeschlossen und bieten zum ersten Mal Informationen in atomarer Auflösung über die Gastmolekülkonformation und die Interaktion zwischen Wirt- und Gastmolekül. Die Wechselwirkung erfolgt hauptsächlich durch Van-der-Waals-Kontakte zwischen dem Gastmolekül und der Innenseite des helikalen Kanals, welcher einen vorwiegend hydrophoben Charakter besitzt. Die detaillierten Analysen der bevorzugten Orientierung und Position der gebundenen Moleküle zeigen, wie die Wechselwirkungen eine spezifische Bindung erlauben. Cycloamylose 26 konnte erfolgreich als Werkzeug für das Studium der Bildung von Einschlußkomplexen verschiedener relevanter Gastmoleküle in atomarer Auflösung eingesetzt werden.