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19.09.2024

29.07.2024

Elektronische Eigenschaften von Moiré-Kristallen steuern

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Macht man ein Material dünn und immer dünner, macht es ab einem gewissen Punkt eine scheinbar wundersame Verwandlung durch: Ein zweidimensionales Material, das aus nur einer oder zwei Kristallagen besteht, hat zum Teil andere Eigenschaften als dasselbe Material, wenn es dicker ist.

Ein Forschungsteam um die Physikerin Prof. Dr. Ursula Wurstbauer von der Universität Münster untersucht, wie man die Eigenschaften zweidimensionaler Kristalle so steuern kann, dass sie sich zum Beispiel wie ein Isolator, ein elektrischer Leiter, ein Supraleiter oder ein Ferromagnet verhalten.

Dazu nutzten die Wissenschaftler die Wechselwirkungen zwischen den Ladungsträgern (Elektronen) und der sogenannten Energielandschaft der Kristalle. Nun hat das Team erstmals kollektive Anregungen der Ladungsträger innerhalb verschiedener Energielandschaften erzeugt und quantitativ nachgewiesen. Die Studie ist wegweisend, um die elektronischen Merkmale dieser Materialien zu verstehen und sie gezielt zu beeinflussen.

Um die unterschiedlichen Eigenschaften zu erhalten, schichteten die Wissenschaftler zwei Lagen eines zweidimensionalen Kristalls übereinander und verdrehten sie leicht gegeneinander. Durch diese Verdrehung entstehen geometrische Muster, sogenannte Moiré-Muster - ähnlich wie bei zwei übereinander gelegten Lagen eines dünnen Vorhangstoffes. Diese Muster prägen die Energielandschaft und zwingen die Elektronen dazu, sich erheblich langsamer zu bewegen. Diese Veränderungen führen dazu, dass die Elektronen intensiv miteinander wechselwirken, was zu sogenanntem stark korreliertem Verhalten führen kann.

"Die Elektronen 'spüren und sehen' sich also, und es passiert, dass in der Nachbarschaft eines Elektrons ein Moiré-Gitterplatz aufgrund der Abstoßung nach dem Coulomb-Gesetz nicht oder nur mit hohem Energieaufwand besetzt werden kann", erläutert Ursula Wurstbauer. "Abhängig von dem Muster und der Anzahl der Elektronen bilden sich die Korrelationen." Als ein anschauliches Bild für unterschiedliches Verhalten der Elektronen nennt sie das "wilde" Tanzen in der Disko im Vergleich zu geordneten Tanzmustern beim Standardtanz. "Die Art, wie die Elektronen 'tanzen' beziehungsweise sich in den Moiré-Mustern bewegen können, hängt stark vom Muster, der Anzahl der Ladungsträger und der dadurch entstehenden Energielandschaft ab."

Die Eigenschaften dieser Materialsysteme seien nicht nur in der grundlegenden Forschung spannend, betont Ursula Wurstbauer. Sie böten möglicherweise auch innovative Anwendungsmöglichkeiten in der Quantentechnologie oder für die Realisierung sogenannter neuromorpher Bauelemente und Schaltkreise.

Das Team, dem neben der Arbeitsgruppe von Ursula Wurstbauer Wissenschaftler der Universität Hamburg, der RWTH Aachen und vom Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie in Hamburg angehörten, präparierte unterschiedliche zweidimensionale Kristalle (Graphen, Molybdändiselenid und Wolframdiselenid) und untersuchte die Proben mit Methoden der optischen Spektroskopie bei kryogenen Temperaturen ("resonant inelastic light scattering spectroscopy"). Die experimentellen Arbeiten kombinierten die Forscher mit theoretischen Analysen.

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Quelle: Universität Münster