11.09.2015
Studie widerlegt Einfluss von Mikro-RNA auf den Stoffwechsel
Ob körperfremde Mikro-RNA-Moleküle über die Nahrung aufgenommen werden und gar den Stoffwechsel beeinflussen können, wurde in den vergangenen Jahren kontrovers diskutiert. Eine neue Studie von ETH-Professor Markus Stoffel bei Mäusen bringt nun Klärung: Eine solche Aufnahme findet nicht statt. Die vielversprechende Idee, funktionelle Nahrung mit Mikro-RNA herzustellen, erleidet damit Schiffbruch.
Die Wissenschaftswelt war verblüfft über das, was chinesische Forscher 2011 behauptet hatten: Über die Nahrung aufgenommene kleine Stücke genetischen Materials aus der Reispflanze - sogenannte Mikro-RNA-Moleküle - können den Stoffwechsel von Menschen beeinflussen. Wenn dies tatsächlich möglich ist, dann wäre es ebenso denkbar, auf diese Weise gezielt Körperfunktionen zu verändern - etwa mit funktioneller Nahrung, die solche Mikro-RNA-Moleküle enthält. Das Potenzial wäre enorm. Denn es ist beispielsweise bekannt, dass bestimmte körpereigene Mikro-RNA-Moleküle die Entstehung von Krebs verhindern, andere einen Einfluss auf Krankheiten wie Fettleibigkeit und Diabetes haben.
Forschungsresultate, die amerikanische Forscher letztes Jahr veröffentlichten, stützten die Idee des "Mikro-RNA-Functional-Food". Diese Wissenschaftler folgerten, dass Mikro-RNA aus Kuhmilch nach dem Konsum ins Blut von Menschen gelangen kann. Die Milch von Säugetieren enthält generell hohe Mengen Mikro-RNA. Seit einigen Jahren gehen Wissenschaftler daher auch der Frage nach, ob diese Moleküle den Stoffwechsel und insbesondere das Immunsystem von Säuglingen auf natürliche Weise beeinflussen können.
Umstrittene Studien
Die Studien zum Reis und zur Kuhmilch wurden allerdings in der Wissenschaftsgemeinschaft kontrovers diskutiert. Denn bei beiden Arbeiten sind die aus den veröffentlichten Daten gezogenen Schlüsse nicht zwingend. Die Ergebnisse lassen sich auch anders erklären. Eine neue Studie unter der Leitung von Markus Stoffel, Professor am Departement Biologie der ETH Zürich, bestätigt nun diese Kritik. Seine beweiskräftige Arbeit bei Mäusen zeigt: Der Körper nimmt Mikro-RNA aus der Nahrung praktisch nicht auf - jedenfalls nicht in funktionell bedeutenden Mengen. Vielmehr werden die Moleküle im Dünndarm in ihre Bausteine zerlegt. Aus der Traum also für funktionelle Nahrung mit Mikro-RNA.
Für ihre Studie verwendeten die ETH-Biologen zwei Mäusefamilien. Eine davon gehörte einem ganz normalen Labormaus-Stamm an (Wissenschaftler sprechen von Wildtyp-Mäusen). Bei der anderen Familie handelte es sich um Mäuse, denen ein ganz bestimmtes Mikro-RNA-Molekül fehlte. Das Molekül heißt miR-375 und wird normalerweise in der Bauchspeicheldrüse, im Darm und in den Milchdrüsen hergestellt. Es gehört zu jenen Mikro-RNA-Molekülen, die in der Muttermilch in hohen Konzentrationen vorkommen.
Experiment mit Ammenmüttern
Die Wissenschaftler ließen beide Mäusefamilien Junge zeugen, tauschten den Nachwuchs unmittelbar nach der Geburt jedoch aus. Auf diese Weise konnten die Forscher Jungtiere untersuchen, die selbst kein miR-375 herstellten, jedoch von einem Mäuseweibchen gesäugt wurden, deren Milch miR-375 enthält.
Im Magen von so ernährten Mäusejungen konnten die Forscher hohe Konzentrationen miR-375 nachweisen. "Magensäure macht Mikro-RNA-Molekülen nur sehr wenig aus", erklärt Stoffel. An anderen Orten im Körper fanden die Wissenschaftler jedoch miR-375 höchstens in Spuren. Die gemessenen Konzentrationen sind nach Angaben der Wissenschaftler mindestens tausendmal zu klein, um im Körper Gene regulieren und damit den Stoffwechsel beeinflussen zu können. Insbesondere fanden die Forscher keine auch nur annähernd relevanten Konzentrationen von miR-375 in den Zellen der Dünndarmwand. Verdaute Nahrungsbestandteile durchqueren diese Zellen, bevor sie ins Blut übertreten. Auch im Blut und in der Leber wurden die Wissenschaftler nicht fündig.
In Bausteine zerlegt
"Wir gehen davon aus, dass Mikro-RNAs im Dünndarm von Verdauungsenzymen in ihre Bausteine zerlegt werden", sagt Stoffel. Dass dies tatsächlich geschieht, zeigten die Forschenden in einem Laborexperiment, in dem sie Mikro-RNA aus Milch mit Verdauungssäften aus dem Dünndarm mischten.
Wenn Mikro-RNA aus Muttermilch nicht intakt in den Körper des gesäugten Nachwuchses gelangt, warum hat es die Natur dann so eingerichtet, dass Muttermilch so große Mengen Mikro-RNA enthält? Stoffel sieht dafür einen einfachen Grund: Säuglinge wachsen rasch. Um neue Körperzellen aufbauen zu können, brauchen sie neben anderen Nährstoffen auch RNA-Bausteine. Und genau solche entstehen im Dünndarm, wenn dort Mikro-RNA aus der Muttermilch verdaut wird. "Diese Bausteine dürften letztlich schlicht und einfach der Ernährung des Säuglings dienen", so Stoffel.
Quelle: ETH Zürich