04.09.2015
Zweite Forschungsexpedition zu Mikroplastik in Gewässern
Wissenschaftler untersuchen derzeit mit Mikroplastik-Schadstoffsammlern, Satellitenaufnahmen und Spezialnetzen die Plastikvermüllung im Sediment der Elbe, Weser, Trave, der Boddengewässer und der Nord- und Ostsee. Auf der zweiten Expedition Anfang September 2015 werden die drei Monate zuvor ausgelegten Probensammler zur Auswertung im Labor der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg) wieder eingesammelt. Insgesamt umfasst die Tour 1025 Seemeilen, das entspricht in etwa 2.000 km.
"Die Suche nach Plastikmüll in Gewässern und Sedimenten ist wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen", sagt Prof. Dr. habil. Gesine Witt von der HAW Hamburg, "da es bis heute kaum zuverlässige Informationen gibt, wo sich die unterschiedlich großen Teile nach ihrem Gebrauch im Gewässer oder im Sediment aufhalten". Delikat ist die Erkenntnis, dass sich die winzigen Plastikteile wie ein Magnet für Schadstoffe verhalten, je länger sie im Wasser herumtreiben. Auf ihrer Reise ins Meer binden sie deshalb einen wahren Giftcocktail an sich. Mit 50 Probensammlern will das Team um Prof. Witt herausfinden, wie stark Mikroplastikteile in Sedimenten an der Nord- und Ostseeküste, Elbe, Weser, Trave und in den Boddengewässern bereits mit Giftstoffen belastet sind. Da diese Giftcocktails in die menschliche Nahrungskette gelangen, ist das Thema Plastikvermüllung und angelagerte Giftstoffe so brisant und beschäftigt Wissenschaftler und Öffentlichkeit.
Gemeinsam mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg) machte sich das Forschungsschiff ALDEBARAN vom Hamburger Hafen auf, um in der Elbe und den Küstengewässern Plastikmüllverunreinigungen aufzuspüren. Die Probensammler sind trinkbechergroße Kupfer-Gehäuse, die mit mikroskopisch kleinen Silikonfasern bestückt sind. Das Forschungsprojekt hat ein Volumen von mehr als 200.000 Euro und wird mit Mitteln der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH), der HAW Hamburg, weiteren Drittmitteln, sowie einer Unterstützung durch das Forschungsschiff ALDEBARAN finanziert.
Begleitet wird das Forschungs-Team der HAW Hamburg um Prof. Dr. habil. Gesine Witt von Forschern der Universität Bayreuth unter der Leitung von Prof. Dr. Christian Laforsch, der Ludwig-Maximilian-Universität München und des Deutschen Geoforschungszentrums Potsdam. Erstmalig soll mit Hilfe aktueller Satellitenaufnahmen in Flussmündungen herausgefunden werden, ob man mit Spektralkameras von Satelliten aus Mikroplastikfracht in Flüssen und Küstengewässern verfolgen kann. Zur Kalibrierung der Satellitendaten werden an Bord des segelnden Forschungsschiffes ALDEBARAN Gewässerproben mit Spezialnetzen genommen, die später auf ihre Mikroplastikkonzentration hin untersucht werden.
Das Forschungsschiff ALDEBARAN ist auf Flachwasserbereiche mit Taucheinsätzen spezialisiert und kann so in kurzer Zeit viele Probenstellen effektiv bearbeiten. Neben einer hochkarätigen wissenschaftlichen Ausrüstung verfügt die ALDEBARAN über ein Radiostudio um live und in bester Qualität aktuelle Informationen über die wissenschaftlichen Projekte von Bord zu senden. Die Mission des Schiffes und der darauf agierenden, kooperierenden Wissenschaftler ist damit in Europa einmalig. Die wissenschaftlichen Ergebnisse landen nicht nur in Archiven und Fachzeitschriften, sondern sind der Öffentlichkeit direkt zugänglich.
Zum Hintergrund der Forschungsexpedition
Fataler Kreislauf: Plastik kommt in Gewässern in ganz unterschiedlichen Größen vor, am drängendsten ist die Suche der Wissenschaftler nach Mikroplastik, das sind winzige Kunststoffteilchen kleiner als 5 mm, die mit bloßem Auge nicht mehr zu erkennen sind. Diese kleinsten Plastikpartikel entstehen aus achtlos entsorgtem Plastik, das vorwiegend durch Sonneneinstrahlung, Wind und Wellen verwittert und zerkleinert wird. Diese kleinen Bruchstücke lagern sich am und im Gewässerboden, dem so genannten Sediment, ab und werden dort mit der Nahrung von den Bodenbewohnern wie kleinen Würmern, Muscheln und Krabben gefressen und gelangen so auch auf unseren Tisch.
Reagieren biologische Organsimen auf den Giftcocktail? Ein Ziel der Untersuchungen von Prof. Witt ist die Ermittlung der Aufnahmekapazität von Mikroplastik für Giftstoffe. Mit Hilfe der Silikonsammler kann auch die Kapazität für andere Kunststoffe ermittelt werden - wie für das weltweit am häufigsten verwendete Polyethylen. Um die Giftwirkung der vom Silikon gesammelten Schadstoffe zu testen, wird es anschließend in biologischen Testsystemen untersucht. Falls Bakterien, Algen oder Fischeier auf den Giftcocktail in den Silikonfasern reagieren, beispielsweise durch ein gehemmtes Wachstum oder Fehlbildungen, dann ist damit auch eine reale Bedrohung der marinen Umwelt und - durch die Nahrungskette - auch für den Menschen nachgewiesen. Von Muscheln weiß man durch neuste Forschungsergebnisse inzwischen, dass sie kleinste Körnchen Polyethylen (PE) im Gewebe anreichern und diese dort Entzündungsreaktionen und Geschwüre verursachen. Diese Erkenntnis könnte auch für den Menschen gelten, jedoch gibt es dazu noch keine Untersuchungen. Als weitere Gefahr sammeln Plastikteilchen im Meer ähnlich wie ein Schwamm Schadstoffe, wie Dioxine oder PCBs. Diese Stoffe sind teilweise krebserregend und erbgutschädigend. Zudem enthalten viele Plastikteilchen von vorn herein giftige Stoffe, wie Weichmacher, die ähnlich wie Hormone wirken. All diese Schadstoffe können sich im Körper der Organismen wieder vom Kunststoff lösen und ihre schädigende Wirkung dort entfalten.
Mikroplastik könnte nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für Menschen sogar wesentlich schädlicher sein als bisher angenommen, da es zusammen mit den an sich gebundenen Giftstoffen und Bakterien von den Meerestieren und auch vom Menschen direkt oder indirekt aufgenommen werden kann.
Was die Grundlagenforschung bringen soll: Mit Hilfe der Ergebnisse der Forschungsfahrt durch das Team um Prof. Dr. Gesine Witt und Prof. Dr. Christian Laforsch können Eintragsquellen (Qualität) und Höhe (Quantität) sowie das Risiko der Schadstoffbelastung des Sediments abgeschätzt werden. Dem Ziel, die Europäische Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) von 2008 umzusetzen, käme die Forschergruppe durch ihre Grundlagenforschung einen entscheidenden Schritt näher.
Quelle: Hochschule Hamburg