21.05.2010
Choreografie der Moleküle - Röntgenblitze "filmen" molekulare Schalter
Einem Forscherteam der Max-Planck-Institute für biophysikalische Chemie, für medizinische Forschung und für Kernphysik sowie des European XFEL, der Universität Göttingen und des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY) ist es erstmals gelungen, Freie-Elektronen-Laser-Strahlung für die Untersuchung chemischer Kristallstrukturen einzusetzen. Die Aufnahmen erfolgten mit dem Freie-Elektronen-Laser FLASH am DESY. Wie die Experimente der Wissenschaftler zeigen, lassen sich strukturelle Momentaufnahmen der Moleküle ganz ohne Artefakte abbilden - trotz hoher Intensität des Röntgenlasers.
Die Lichtblitze des 260 Meter langen Freie-Elektronen-Lasers (FEL) am Deutschen Elektronensynchrotron sind nicht nur leistungsstark, sondern auch ultrakurz: Die kürzeste erreichte Wellenlänge ist gerade einmal sieben Nanometer (millionstel Millimeter). Ultrakurz ist auch die Dauer der Strahlungspulse, die zehn bis 50 Femtosekunden (billiardstel Sekunden) beträgt. Wie Wissenschaftler der Max-Planck-Institute für biophysikalische Chemie, für medizinische Forschung und für Kernphysik sowie des Deutschen Elektronen-Synchrotrons, der Universität Göttingen und des European XFELs zeigen, lassen sich damit ultraschnell Strukturen von Molekülen aufnehmen.
Gewöhnlich entschlüsseln Forscher die Strukturen von Molekülen, indem sie daraus Kristalle züchten und diese mit Röntgenlicht durchleuchten - eine mitunter langwierige und nicht immer erfolgsgekrönte Prozedur. Nicht alle Moleküle lassen sich kristallisieren - schon gar nicht in den benötigten Mengen. Auch die Zeitauflösung solcher Experimente ist sehr begrenzt. Langsame Transportphänomene in Festkörpern oder biologische Prozesse ließen sich bisher nur fragmentarisch aufnehmen.
Strukturen extrem schnell schaltbarer Nanokristalle mit ultraschnellen Freie-Elektronen-Laser-Pulsen aufzunehmen, gelang jetzt dem Wissenschaftlerteam um Simone Techert, Leiterin der Forschungsgruppe "Strukturdynamik (bio)chemischer Systeme" am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie.
Wissenschaftler erhoffen sich von molekularen Schaltern unter anderem ein wirksames Werkzeug, um chemische und biochemische Prozesse gezielt steuern und regulieren zu können. Neben ihrer Anwendung in der Optoelektronik könnten molekulare Schalter auch in der Molekularmedizin Einsatz finden. "Mittels Röntgenlaser könnte man beispielsweise einen "Live-Mitschnitt" vom Wirkprozess eines medizinischen Wirkstoffs mit seinem molekularen Partner aufnehmen", erklärt die Chemikerin Techert.
Doch die Stärke des Freie-Elektronen-Lasers ist zugleich seine Schwäche. Denn die hoch ionisierende Röntgenstrahlung kann zu Strahlenschäden führen; Messartefakte wären die Folge. Dass sich gefürchtete Artefakte vermeiden lassen, zeigen die Ergebnisse der Forscher eindrucksvoll. "Mit einer Pulslänge von 20 Femtosekunden sind die Aufnahmen "im Kasten", bevor der Zerstörungsprozess der Moleküle durch die weichen Röntgenstrahlen einsetzt", erklärt Techert. Die Arbeiten wurden durch die Advanced Study Group der Max-Planck-Gesellschaft sowie den SFB 602 ("Complex structures in condensed matter from atomic to mesoscopic scales") und den SFB 755 ("Nanoscale photonic imaging") der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt.
Durch die hohe Intensität der FEL-Strahlung ließen sich selbst kleinste Mengen eines Molekülkristalls untersuchen. Mit Freie-Elektronen-Lasern könnten so Strukturinformationen auch aus Nano-Teilchen beziehungsweise Nano-Kristallen gewonnen werden, die sich momentan herkömmlichen Strukturbestimmungsmethoden mit Röntgenstrahlung verweigern. "Mit härterer Röntgenstrahlung der Wellenlänge von weniger als einem Nanometer könnte es zukünftig möglich sein, chemische Strukturen in kristallografischer Manier im Angstrom-Bereich zu bestimmen. Bis zu welcher strukturellen Auflösung dies möglich sein wird, bleibt mit Spannung zu erwarten", so Max-Planck-Forscherin Techert. Die Ergebnisse der Forscher lassen hoffen, dass Freie-Elektronen-Laser künftig Einsatz finden könnten, um kleine Strukturänderungen molekularer Wirkstoffe oder Proteine "live" in Aktion zu filmen.
Quelle: idw / Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie (MPIBPC)