04.05.2010
Polymere werden berechenbar - Neues Simulationsverfahren für Kunststoffe und Biopolymere
Was hält ein neuer Kunststoff aus, wie halten Biopolymere zusammen? Durch eine Vorausberechnung der Eigenschaften, könnten Materialwissenschaftler massiv Entwicklungskosten sparen und Biophysiker die Eigenschaften von Biopolymeren und menschlichen Zellen untersuchen. Doch bisherige Berechnungsmethoden stoßen hier an ihre Grenzen. Ingenieure der Technischen Universität München haben nun die im Ingenieurwesen häufig angewandte Finite-Elemente-Methode so erweitert, dass eine derartige Vorausberechnung möglich wird.
Technische Kunststoffe bestehen aus langen, kettenartigen Molekülen. Deren Beweglichkeit hat einen entscheidenden Einfluss auf die Materialeigenschaften. Könnte man sie besser vorausberechnen, so würde dies bei der Entwicklung neuer Kunststoffe sehr viel Zeit und Geld sparen. Auch die Biologie steht vor ähnlichen Problemen: Biopolymere Netzwerke sind von entscheidender Bedeutung für eine Vielzahl biologisch und medizinisch relevanter Prozesse im menschlichen Körper. Insbesondere sind sie wichtig für Teilung, Bewegung und Verformung von Zellen.
Aufgrund der enormen Komplexität dieser Netzwerke ist eine Untersuchung oft nur mit Computersimulationen möglich. Die Größe und die komplexen Eigenschaften der in Materialwissenschaft und Biologie zu simulierenden Systeme setzen einer präzisen Modellierung jedoch bislang enge Grenzen. Bei Verwendung der bisher in diesen Bereichen üblichen Simulationsverfahren sprengt der Rechenaufwand selbst die Möglichkeiten von Supercomputern.
Professor Wolfgang Wall und sein Team am Lehrstuhl für Numerische Mechanik der TU München haben nun die in den Ingenieurwissenschaften als höchst effizientes Verfahren bekannte Finite-Elemente-Methode so erweitert, dass sie auch für die Simulation der Mikromechanik von Kunststoffen und Biopolymeren eingesetzt werden kann. Die Finite-Elemente-Methode erlaubt es, physikalische Effekte in einem bestimmten Gebiet zu simulieren, indem die Vorgänge auf kleinen Teilgebieten, den Finiten Elementen, in ihrer Auswirkung zusammengefasst werden und so genannten Knoten zugeschlagen werden. Während der Simulation genügt es dann, alle Rechenschritte nur noch in Bezug auf diese diskreten Knoten auszuführen.
Bislang war nicht bekannt, wie bei diesem Verfahren die in der Bio- und Polymerphysik essentiellen Effekte der statistischen Mechanik berücksichtigt werden können. Denn die Moleküle werden durch die Umgebungswärme ständig zufällig angeregt und bewegen sich daher ständig ein klein wenig. Die neu entwickelte Simulationsmethode löst dieses Problem und öffnet damit den Weg zu einer höchst effizienten Simulation der statistischen Polymer- und Biophysik. Dies ermöglicht die computergestützte Analyse auch solcher Systeme, die bislang zu groß und komplex waren.
"Die großen Vorteile der neuen Methode sind ihre Vielseitigkeit, ihre Effizienz sowie ihre solide mathematische Basis", sagt Professor Wall. Die grundlegende Methode wird bereits für viele verschiedene Probleme aus Technik und Naturwissenschaft genutzt - zur Simulation derartiger Fragestellungen wurde sie jedoch bislang noch nicht eingesetzt. Dazu waren theoretisch anspruchsvolle Erweiterungen nötig. Erfreulicher Weise lassen sich diese jedoch in die Vielzahl bestehender, bereits weit entwickelter Softwarepakete leicht einbauen, um die Methode direkt in Simulationen anwenden zu können.
Mit Hilfe des neuen Simulationsverfahrens wollen die Ingenieure zusammen mit Biophysikern im Rahmen eines Projektes der International Graduate School of Science and Engineering (IGSSE) der TUM wesentliche Fortschritte beim Verständnis des Verhaltens biopolymerer Netzwerke erzielen. "Wir wollen verstehen, wie biopolymere Netzwerke dynamisch auf äußere Belastungen reagieren und dabei z.B. ihre Struktur anpassen." sagt Christian Cyron, Doktorand am Lehrstuhl für Numerische Mechanik. Daraus können wir dann ein besseres Verständnis für das mechanische Verhalten menschlicher Zellen gewinnen, das ja ebenfalls maßgeblich von einem biopolymeren Netzwerk, dem Zytoskelett, bestimmt wird. Langfristig können diese Erkenntnisse dann zur Entwicklung neuer medizinischer Technologien führen.
Quelle: idw / Technische Universität München