05.07.2013
Moleküle in ihrer ursprünglichsten Form messen
Mit einer speziellen Elektronenstrahlapparatur können Chemiker der Universität Bielefeld herausfinden, wie gasförmige Moleküle präzise dreidimensional aufgebaut sind. Dafür analysiert das Forschungsteam um Professor Dr. Norbert Mitzel die Moleküle in ihrem Gaszustand. Die Universität Bielefeld hat als einzige Einrichtung in der Europäischen Union eine Anlage, die für solche Gasphasenanalysen geeignet ist. Bald können auch externe Forschungseinrichtungen das Gerät für die Analyse ihrer Substanzen nutzen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert das neue Gerätezentrum über drei Jahre mit 550.000 Euro.
Gas-Elektronendiffraktometer heißt die Untersuchungsanlage der Fakultät für Chemie. "Weltweit gibt es solche Geräte nur an fünf weiteren Standorten - in Japan, Neuseeland, den USA und zwei Mal in Russland", sagt Professor Mitzel, der die Arbeitsgruppe Anorganische Chemie und Strukturchemie leitet. Das Ungewöhnliche: Der Bielefelder Apparat ist zwar mehr als vier Jahrzehnte alt, ist aber in jüngster Zeit substanziell modernisiert worden: alte Hülle, neuer Kern. Trotz seines Alters ist er sehr gefragt, weil er Stoffe im Gaszustand messen kann. Diese Funktion steht den meisten Chemikern mit ihren Messgeräten nicht zur Verfügung.
Vorwiegend werden mit dem Gerät vergleichsweise kleine Moleküle untersucht. Zusätzlich verfügt die Bielefelder Arbeitsgruppe über das Knowhow, aus Flüssigkeiten bei tiefen Temperaturen Kristalle zu züchten. So lässt sich mit dem Diffraktometer die Struktur der Moleküle auch im Kristall messen.
Doch wozu braucht es ein Messgerät für gasförmige Verbindungen? "Als Chemiker interessieren wir uns dafür, wie Atome miteinander verbunden sind", sagt Mitzel. "Wenn man genau ermitteln will, wie sich ein Molekül aufbaut, untersucht man es am besten im Gaszustand - dann befindet es sich in seiner ursprünglichsten Form, weil sich die Moleküle gegenseitig nicht beeinflussen. Im Festzustand ist das anders, denn in Kristallen etwa verformen sich die Moleküle gegenseitig."
Mit ihren Messungen klären Professor Mitzel und sein Team mitunter jahrzehntealte Forschungsfragen. Externe Forscher haben von dem Bielefelder Elektronendiffraktometer bislang schon in vielen Fällen profitiert - wenn sie gemeinsam mit dem Team von Mitzel geforscht haben. So konnte die Arbeitsgruppe um Mitzel 2011 erstmals präzise zeigen, in welchen Abständen und Winkeln Phosphor-Atome im elementaren Phosphor angeordnet sind. Im gleichen Jahr ermittelten die Forscher zudem die Anordnung von Phosphor-Atomen in einer ganz neuen einfachen Verbindung mit Arsen, dem P3As-Molekül, entwickelt von Professor Christopher Cummins PhD vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston. Mit der Arbeitsgruppe von Professor Dr. Carlos Della Védova von der Universidad Nacional de La Plata in Argentinien forschen die Bielefelder Chemiker seit drei Jahren in einem gemeinsamen Projekt und untersuchen unter anderem Modelle für die Übertragung von Stickoxid, das als Botenstoff im Körper wirkt. "Dabei geht es sozusagen um die Basis der Wirkungsweise von Viagra", sagt Mitzel. Aber auch für industriell interessante Verbindungen wird das Diffraktometer genutzt.
Für Analysen mit dem Gerät wird eine verdampfte Probe per Vakuum in das Gerät gesaugt. Darin trifft ein Elektronenstrahl auf das Gas. Aus dem Bild, das die abgelenkten Elektronen erzeugen, können die Forscher berechnen, wie die Atome im Molekül angeordnet sind, sprich: welche Abstände sie zueinander haben. "Die Anlage arbeitet sehr präzise", sagt Mitzel. "Wir können die Länge bis auf drei, manchmal vier Stellen hinter dem Komma eines Ångströms genau angeben", erklärt der Chemiker.
Die DFG hat vor zwei Jahren eine Förderlinie gestartet, damit möglichst viele Forscher spezielle Analyseanlagen wie das Gerät der Arbeitsgruppe von Professor Mitzel verwenden können. Die Idee der DFG: Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland stellen ihre hochspezialisierten Apparate externen Partnern zur Verfügung. Sie gründen dafür "Gerätezentren", auch "Core Facilities" genannt. Dort bedienen Experten die Maschinen für Auftraggeber von außerhalb: Sie bereiten Proben vor, messen sie und analysieren die Daten. Die DFG finanziert dieses Personal drei Jahre lang. In Zukunft sollen die Gerätezentren sich ihre Auftragsarbeiten teilweise bezahlen lassen - was im Wissenschaftssystem derzeit noch unüblich ist. Nach Ende der DFG-Förderung - so das Konzept - sollen sie sich selbst finanzieren. Das neue Gerätezentrum der Universität Bielefeld heißt "GED@BI" (Gas Electron Diffraction and Small Molecule Structures Centre Bielefeld - Zentrum für Gas-Elektronenbeugung und Strukturchemie kleiner Moleküle).
Quelle: idw / Universität Bielefeld