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09.11.2024

26.09.2012

Asiens Chemieindustrie läuft Europa den Rang ab - Studie "Chemical Industry Vision 2030" veröffentlicht

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Bis 2030 wird die weltweite Chemieindustrie um durchschnittlich 3 Prozent im Jahr wachsen, getrieben vor allem durch die großen Unternehmen in Asien und im Nahen Osten. Aufgrund ihres Heimvorteils werden die Marktteilnehmer aus diesen Regionen bis 2030 zwei Drittel des weltweiten Umsatzes auf sich vereinen. Dann wird mindestens die Hälfte der 10 weltweit größten Chemieunternehmen aus Asien oder dem Nahen Osten stammen. Mit durchschnittlich einem Prozent jährlich wird das Produktionswachstum in den 27 EU-Staaten moderat ausfallen und kann in Kombination mit anhaltenden Produktivitätssteigerungen einen signifikanten Rückgang der Beschäftigung nach sich ziehen, falls nicht weitere Innovationen zu zusätzlichem Geschäft führen. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie "Chemical Industry Vision 2030" der Unternehmensberatung A.T. Kearney. Um sich im Markt zu behaupten, kommt es für europäische Chemieunternehmen darauf an, sich schnellstmöglich auf diese Veränderungen einzustellen. Im Einzelnen gilt es für sie, ihre heimischen Märkte zu verteidigen, Wachstumsplattformen zu entwickeln und stärker am Wachstum in Asien teilzuhaben, um im Wettbewerb zu bestehen.

Die europäische Chemieindustrie steht vor großen Herausforderungen. Durch das enorme Wirtschaftswachstum in Asien verschieben sich die Lieferketten zunehmend in Richtung Osten. Außerdem verändert sich die Wettbewerbslandschaft, staatlich kontrollierte Marktteilnehmer und aufstrebenden Chemieriesen entstehen. Zunehmende wirtschaftliche Volatilität schließlich setzt die Branche zusätzlich unter Druck.

Seit Mitte der achtziger Jahre ist die weltweite Chemieindustrie um jährlich 7 Prozent gewachsen und erreichte 2010 ein Volumen von 2,4 Billionen Euro. Der größte Teil des Wachstums entstand in den letzten 25 Jahren in Asien. 2010 wurde dort nahezu die Hälfte des weltweiten Umsatzes getätigt. Auf Europa entfielen 25 Prozent, auf die NAFTA-Region 19 Prozent.

2030: Zwei Drittel des Marktes in asiatischer Hand

Bis 2030 wird die weltweite Chemieindustrie um durchschnittlich 3 Prozent im Jahr wachsen, getrieben vor allem durch die großen Player in Asien und im Nahen Osten. Aufgrund ihres Heimvorteils werden die Marktteilnehmer aus diesen Regionen bis 2030 zwei Drittel des weltweiten Umsatzes auf sich vereinen. Auf Europa werden dann nur noch 15 Prozent des weltweiten Marktvolumens von 4,6 Billionen Euro entfallen, auf die NAFTA-Region 12 Prozent.

Dr. Otto Schulz, Partner in der Chemie und Öl Practice von A.T. Kearney erläutert: "Das Wachstum in Asien und Nahost ist trotz der gegenwärtigen Schwierigkeiten in China einer der wichtigsten volkswirtschaftlichen Trends überhaupt. Die steigende Kaufkraft der fast vier Milliarden Menschen, die dort leben, treibt auch die Nachfrage nach Chemieprodukten an. Wichtige Kundenmärkte wie die Automobilbranche, der Bausektor oder die Landwirtschaft wachsen mit überdurchschnittlich hoher Geschwindigkeit. Wir rechnen damit, dass 2030 mindestens die Hälfte der 10 weltweit größten Chemieunternehmen aus Asien oder dem Nahen Osten stammen wird. Statt wie bisher vier Unternehmen wird Europa dann nur noch zwei bis drei Firmen der Top-Ten-Liste stellen."

Asiatische Marktteilnehmer haben bereits in der Vergangenheit vom stärkeren Wirtschaftswachstum profitiert. Dies wird auch anhand der Fortune 500-Liste der 500 umsatzstärksten Unternehmen weltweit deutlich. Dr. Joachim von Hoyningen-Huene, Principal in der Chemie und Öl Practice von A.T. Kearney erklärt: "Zwischen 2002 und 2011 hat die Anzahl der Unternehmen aus aufstrebenden Volkswirtschaften mit einer Wachstumsrate von 19 Prozent zugelegt. Die Anzahl der Firmen aus entwickelten Ländern hingegen ist rückläufig. Das stellt die Etablierten vor echte Herausforderungen."

Auch die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten verlagern sich zunehmend Richtung Osten. Gründe dafür sind sowohl die Nähe zum Kunden als auch die bessere Verfügbarkeit von Fachkräften. "In der Automobilindustrie gehen wir davon aus, dass 2017 mehr F&E-Mitarbeiter in aufstrebenden als in etablierten Volkswirtschaften eingesetzt werden", so von Hoyningen-Huene.

Moderates Wachstum in Europa

Mit durchschnittlich einem Prozent jährlich wird das Wachstum der Chemieproduktion in den 27 EU-Staaten moderat ausfallen. Lag das Produktionsvolumen 2010 bei rund 490 Milliarden Euro, wird es 2030 voraussichtlich 587 Milliarden Euro betragen. Mit durchschnittlich 2,6 Prozent pro Jahr werden die konsumentennahen Chemikalien am stärksten zulegen und 2030 18 Prozent des Marktes ausmachen. Die organischen Chemikalien, die den größten Block darstellen, werden um lediglich einen Prozentpunkt von 50 auf 51 Prozent zulegen. Für Polymere und anorganische Basischemikalien wird ein Null-Wachstum erwartet.

Das langsame Wachstum gepaart mit anhaltenden Produktivitätssteigerungen kann zu einem signifikanten Beschäftigungsrückgang in der europäischen Chemieindustrie führen, wenn nicht der Weg in weitere Dienstleistungen oder Innovationen gefunden werden kann.

Potenzial nach Regionen

Europa ist für europäische Chemieunternehmen weiterhin der wichtigste und größte Markt. Dort sind sie insgesamt gut aufgestellt. In den Märkten in Übersee ist ihre Positionierung jedoch oftmals ausbaufähig; dort liegen erhebliche Wachstumschancen, so ein weiteres zentrales Ergebnis der Studie.

Schulz fasst die Herausforderungen der einzelnen Regionen zusammen: "Auf dem eigenen Kontinent genießen europäische Unternehmen einen deutlichen Heimvorteil. Hier wird der Kundenzugang immer wichtiger und rangiert von der Bedeutung her teilweise schon vor klassischen Erfolgsfaktoren wie Produktqualität und Kosten. Außerhalb Europas haben sie allerdings oftmals einen vergleichsweise überschaubaren Marktanteil und können ihre Position noch deutlich ausbauen. Für Unternehmen, die in China aktiv sind, stellt die Verbesserung der Profitabilität immer noch die größte Herausforderung dar, auch weil lokale Wettbewerber vielfach von den Behörden stärker unterstützt werden."

Drei Handlungsempfehlungen für zukünftiges Wachstum

Für europäische Chemieunternehmen kommt es nun darauf an, sich zügig auf das sich wandelnde Marktumfeld einzustellen. Die Autoren der Studie haben drei konkrete Handlungsempfehlungen formuliert, um sich erfolgreich im Markt zu behaupten. Von Hoyningen-Huene erklärt: "Für europäische Chemieunternehmen gilt es, ihre heimischen Märkte zu verteidigen, Wachstumsplattformen zu entwickeln und stärker am Wachstum in Asien teilzuhaben, um im Wettbewerb zu bestehen."

Europäischen Markt verteidigen: Eine der größten Herausforderungen für europäische Chemieunternehmen ist die Abwanderung wichtiger Kundenindustrien nach Asien. Sie sollten sich daher auf diejenigen Wertschöpfungsketten fokussieren, deren Abwanderung eher unwahrscheinlich ist.

Eine Wachstumsplattform entwickeln: Europäische Chemieunternehmen sollten bei der Entwicklung innovativer Produkte weiterhin eine Pionierrolle einnehmen - um dadurch die innovativen Industrien in Europa mitzugestalten und weiterzuentwickeln. Der Schwerpunkt sollte dabei auf Erfindungen liegen, die sich an die globalen Megatrends anlehnen, aus denen letztlich Wachstumsplattformen entstehen. Dazu gehören etwa alternative Rohstoffe und Energiequellen, eine verbesserte Energiespeicherung sowie intelligente Materialien.

Am asiatischen Wachstum teilhaben: Keine andere Region der Welt entwickelt sich so rasant wie Asien. Wachstumsmöglichkeiten für europäische Chemiekonzerne ergeben sich aus der Entwicklung lokaler Produkte, der Zusammenarbeit mit Playern aus dem Osten, dem Transfer von Know-how, der Entwicklung spezifischer lokaler Vertriebsansätze und aus der Anpassung von Angeboten an lokale Gegebenheiten.

Hoyningen-Huene erklärt: "Wir raten unseren europäischen Kunden, sich nicht ausschließlich auf China zu fokussieren. Es stimmt zwar, dass China ein sehr attraktiver Markt ist, es müssen aber zahlreiche Risiken bedacht werden wie Preissensibilität, steigende Personalkosten, politische Unsicherheit, mächtige Behörden und Probleme beim Schutz geistigen Eigentums."

Quelle: A.T. Kearney GmbH