Proteintransport in E. coli: Untersuchung der Konformationsänderungen des Chaperons SecB durch Bindung an das Modellsubstrat Bovine Pancreatic Trypsin Inhibitor (BPTI) mit Hilfe der EPR-Spektroskopie
Haimann, Michaela - Technische Universität Kaiserlautern (2012)
SecB ist ein homotetrameres, cytosolisches Chaperon mit einer Masse von 68,8 kDa, das einewichtige Rolle bei der Proteintranslokation in E. coli spielt. Es wechselwirkt mit naszierenden Polypeptiden, hält diese in einem ungefalteten, translokationskompetenten Zustand und geleitet sie zum Translokon. In vitro bindet SecB an eine Vielzahl von Liganden, die im nicht-nativen Zustand vorliegen. Frühere Arbeiten untersuchten die Konformation des 6,5 kDa schweren Modellsubstrats bovine pancreatic trypsin inhibitor (BPTI) sowie die Konformation von SecB selbst mit Hilfe von Site-directed Spinlabeling- und fluorimetrischen Verfahren unter Excimeren- Bildung. Es wurden Hinweise gefunden, dass es während der Substratbindung zu konformellen Änderungen in SecB kommt.
Der Schwerpunkt dieser Arbeit lag auf der genaueren Untersuchung dieser Effekte hinsichtlich der im Chaperon SecB auftretenden konformativen Änderungen. Zu diesem Zweck wurde eine SecB-Mutante verwendet, die ein neues exponiertes, hochreaktives Cystein nach Entfernen der benachbarten intrinsischen Cysteine aufwies und eine SecB-Mutante geschaffen, die nur noch ein einziges Cystein pro Untereinheit enthielt. In der Mutante SecB E90C waren die Cysteine von jeder der vier Untereinheiten an den Positionen 97 und 102 gegen Alanine ausgetauscht und an den Positionen 90 die Glutaminsäure in ein Cystein gewandelt. In der Mutante SecB C97 wurden die nativen Cysteine der vier Untereinheiten an den Positionen 76, 102 und 113 durch ortsgerichtete Mutagenese in Alanine mutiert. Die Sequenzen beider Mutanten wurden in den Expressionsvektor pET-20b(+) einkloniert und so zur späteren Aufreinigung mittels Nickel-Affinitätschromatographie mit einem C-terminalen 6x His-Tag und einer Thrombinschnittstelle fusioniert. Das Vorliegen der richtigen DNA-Sequenzen wurde durch Sequenzierung nachgewiesen und die Expressionsplasmide in ultra-kompetente KRX-Zellen transformiert. Nach der Expression in 2xYTA-Medien und Zelllyse mit Ultraschall befanden sich die SecB-Proteine im löslichen Zellüberstand und wurden in hoher Ausbeute und Reinheit durch schrittweise Erhöhung der Imidazol-Konzentration während der Nickel-Affinitätschromatographie isoliert. Die erfolgreiche Abspaltung des 6x His-Tags mit Thrombin wurde durch SDS-PAGE und ELISA mit dem monoklonalen Maus-Anti-His6-Antikörper belegt. Die Ausbeute an SecB-Tetrameren aus einem Liter Kulturmedium betrug durchschnittlich 111 mg und die Reinheit der Proteine lag nach densitometrischer Bestimmung bei nahezu 100%. Somit konnte die Isolierungsmethode verglichen mit früheren Arbeiten optimiert und zeitsparender gestaltet werden.
Für die späteren EPR-spektroskopischen Messungen wurden die SecB-Mutanten mit dem Spinlabel 1-Oxyl-2,2,5,5-tetramethyl-Δ3-pyrrolidin-3-methylthiosulfonat (MTS) markiert. Dieses reagiert spezifischer mit Cysteinen als das in früheren Arbeiten verwendete 4-(3-Iod-2-oxoprolyliden-1-)2,2,3,5,5-pentamethyl-imidazolin-1-oxyl (IOPI). Die Positionen C97 bzw. E90C sind aufgrund ihrer exponierten Lage vom chemischen Standpunkt her sehr gut für die Kopplung mit MTS geeignet. Untersuchungen mit MALDI-ToF MS bestätigten den quantitativen Erfolg des Site-directed Spinlabeling mit MTS an jeder der vier Untereinheiten der SecB-Chaperone.
Die drei Disulfidbrücken des nativen, kommerziell erworbenen Modellsubstrats BPTI wurden reduziert und die Thiolgruppen durch Carboxyamidomethylierung (CAM) blockiert, um eine Rückfaltung und erneute Ausbildung von Disulfidbrücken zu verhindern. Somit wurde BPTI in einen translokationskompetenten Zustand für SecB überführt. Zum späteren Nachweis der Komplexbildung wurde cam-BPTI ebenfalls mit Fluoresceinisothiocyanat (FITC) fluoreszenzmarkiert. Das positive Ergebnis der chemischen Modifizierungen wurde ebenfalls mittels MALDI-ToF MS bestätigt.
Die Chaperon-Substrat-Komplexbildung zwischen SecB und denaturiertem cam-FITC-BPTI wurde durch HPLC-Messungen unter Größenausschluss verfolgt. Dazu wurde cam-FITC-BPTI in sub-stöchiometrischen bis äquimolaren Konzentrationen zu einer SecB-Lösung zugegeben und der Retentionspeak des Substrats verschwand im komplexgebundenen Spektrum. Allerdings konnte keine Änderung in der Retentionszeit von SecB aufgrund der durch gebundenes Substrat erhöhten Masse im Komplex festgestellt werden. UV/Vis- und fluorimetrische Analysen der Elutionsfraktionen bestätigten daraufhin die co-Elution von SecB und Substrat, so dass der Nachweis der Chaperon-Substrat-Komplexbildung erbracht wurde.
Darüber hinaus wurde in dieser Arbeit eine Cystein-freie Mutante des Modellsubstrats BPTI, HisT6-all-Ala-BPTI1-58, geschaffen, in deren Aminosäuresequenz alle sechs nativen Cysteine durch Alanine ersetzt wurden. So konnte ebenfalls eine bindungskompetente, entfaltete Struktur ohne Disulfidbrücken realisiert und die chemische Modifizierung des kommerziellen BPTI sowie die damit verbundenen Ausbeuteverluste umgangen werden. Die Darstellung des rekombinanten Proteins gelang mit Hilfe eines synthetischen Oligonukleotids, nachdem dessen Codons für die Proteinexpression im Wirt E. coli optimiert worden waren. Das optimierte Oligonukleotid wurde aus dem Vektor pMA in den Expressionsvektor pET-20b(+) umkloniert und das Vorliegen der richtigen DNA-Sequenz durch Sequenzierung verifiziert. Die Expressionsplasmide wurden in ultra-kompetente KRX-Zellen transformiert. Nach Expression in E. coli und Lyse der Zellen mit Ultraschall wurde optimiertes HisT6-all-Ala-BPTI1-58 aus den inclusion bodies durch Aufschluss mit denaturierendem Puffer und anschließender Nickel-Affinitätschromatographie isoliert. Aufgrund der denaturierenden Bedingungen lag das Modellsubstrat bereits in einer bindungskompetenten Form für die Komplexbildung mit SecB vor. Allerdings zeigten sich in der SDS-PAGE noch weitere geringe Proteinverunreinigungen. Es gelang, höhermolekulare Verunreinigungen vom 8 kDa schweren Zielprotein durch Ultrazentrifugation und Gelfiltration abzutrennen, was zu einer 24%igen Steigerung der Reinheit führte. Allerdings konnte ein ebenfalls spezifisch überexprimiertes 13 kDa schweres Protein auf diese Weise nicht separiert werden. Ein mögliches Aggregieren des Zielproteins konnte ebenfalls ausgeschlossen werden. Im Rahmen dieser Arbeit war keine Optimierung der Isolierungsmethode für optimiertes HisT6-all-Ala-BPTI1-58 mehr möglich. Die Charakterisierung des rekombinanten Modellsubstrats gelang mittels SDS-PAGE und ESI-MS/MS. Das 13 kDa schwere Protein konnte auf diese Weise nicht eindeutig identifiziert werden.
Mit Hilfe des Molecular Modeling wurden aus dem Datensatz der SecB-Wildtyp Kristallstruktur von E. coli die theoretischen Abstände zwischen den Nitroxid-Radikalen der MTS-gelabelten Cysteine der SecB-Tetramere im substratfreien Zustand berechnet. Zu diesem Zweck wurden die Kristallstrukturdaten hinsichtlich der Veränderungen in den SecB-Mutanten SecB E90C und SecB C97 modifiziert. Für die Mutante SecB E90C wurden alle Cysteine der Positionen 97 und 102 an jeder der vier Untereinheiten durch Alanine ausgetauscht und die Glutaminsäure an den Positionen 90 durch ein MTS-gelabeltes Cystein ersetzt. Analog wurden für SecB C97 alle Cysteine der Positionen 76, 102 und 113 durch Alanine substituiert und die verbleibenden Cysteine C97 mit dem Spinlabel MTS modifiziert. Eine Energieminimierung der Spinlabel-Konformation innerhalb der Proteine wurde mit Hilfe von molekulardynamischen (MD) Rechnungen erzielt. Dazu wurde das Kraftfeld charm22 der Kraftfeld-Maschine CHARMm mit den Minimierungsalgorithmen Steepest Descents und Conjugated Gradient angewandt. Die resultierenden Abstände wurden zwischen den Nitroxid-Funktionen der MTS-gelabelten Cysteine durch Mittelwertbildung aus 170 erhaltenen energiearmen Konformeren bestimmt. Hierbei wurde eine paarweise Ähnlichkeit der Abstände festgestellt, die sich bereits in den Cα-Abständen des Proteinrückgrats zeigte. Die dort auftretenden leichten Verzerrungen pflanzten sich in den Abständen zwischen den MTS-Labeln fort. Diese theoretisch ermittelten Abstände ermöglichten den Vergleich mit den experimentell bestimmten Abstandsdaten und gestatteten so auch die Zuordnung der gemessenen Abstände im Oligomer.
Die EPR-spektroskopischen Untersuchungen wurden an den Mutanten SecB E90C und SecB C97 im substratfreien und substratgebundenen Zustand mit einem mindestens vierfach molaren Überschuss an rekombinantem Modellsubstrat durchgeführt. Dadurch konnten strukturelle Veränderungen, die in den Mutanten durch Wechselwirkung mit dem Modellsubstrat auftraten, untersucht werden. Mit Hilfe von X-Band CW-Spektren wurden die kurzen Abstände (<20 Å) benachbarter Spinlabel auf derselben Seite des Tetramers in der Mutante SecB C97 aufgelöst und simuliert. Die so ermittelten Abstände stimmten mit den aus MD Rechnungen erhaltenen Distanzen überein. Eine Simulierung der größeren Abstände in der Mutante SecB E90C war mit dieser Technik nicht möglich, da die hier auftretenden Abstände nicht in den CW-Spektren aufgelöst werden konnten.
Um eine bessere Auflösung der EPR-Spektren in Bezug auf ihre g-Tensor-Werte zu erhalten, wurden EPR-Messungen im W-Band aufgezeichnet. Diese zeigten für beide SecB-Mutanten eine leichte aber signifikante Abnahme der gxx-Werte nach Substratzugabe. Dies ließ den Schluss zu, dass sich die Spinlabel nach der Komplexbildung in einer polareren/hydrophileren Umgebung befanden und somit eine konformelle Änderung in den Chaperonen beider SecB-Mutanten nach Substratbindung auftrat.
Daher wurden Double Electron-Electron Resonance (DEER)-Abstandsmessungen im Nanobereich bei X-Band Frequenzen durchgeführt, um Abstandsinformationen zwischen den Spinlabeln zu erhalten. In den DEER-Messungen war es möglich, die größeren Abstände im Bereich von 20 - 60 Å, die zuvor durch MD Rechnungen bestimmt wurden, aufzulösen. Abstandsänderungen zwischen den Spinlabeln nach Substratbindung ließen auf strukturelle Änderungen in den Chaperonen schließen. Zur Quantifizierung wurden die aufgezeichneten DEER-Spektren simuliert und die so ermittelten Abstandsdaten zwischen den MTS-gelabelten Cysteinen konnten mit Hilfe der aus MD Rechnungen bestimmten Distanzen zugeordnet werden. Dies war für den kurzen Abstand zwischen benachbarten Spinlabeln auf derselben Seite des Tetramers in der Mutante SecB E90C (44 Å) sowie der Mutante SecB C97 (19,5 Å) möglich. Des Weiteren wurde so der Diagonalabstand (58,6 Å) in der Mutante SecB C97 bestimmt und zugewiesen. Die Daten standen in sehr guter Übereinstimmung mit den theoretisch ermittelten Werten. Die Komplexierung des Modellsubstrats führte zu kleinen, aber signifikanten Abstandsänderungen zwischen den Spinlabeln der Mutante SecB C97. Diese Konformationsänderung spiegelte sich sowohl in einer Vergrößerung der kurzen Distanz zwischen gleichseitig gelegenen Spinlabeln der benachbarten Untereinheiten A-C bzw. B-D als auch in der Verringerung des Abstands B-C zwischen diagonal gegenüberliegenden Spinlabeln wider. Die Position 90 der Mutante SecB E90C war hiervon kaum betroffen. Sie zeigte lediglich eine Verbreiterung der Abstandsverteilung, die, ebenso wie die Polaritätsänderung der lokalen Umgebung der Spinlabel in den W-Band Spektren, auf eine konformelle Änderung im Molekül hindeutete. Diese Beobachtungen konnten durch eine Aufweitung der Tetramerstruktur nach Substratbindung, die mit dem paarweisen Öffnen zweier gegenüberliegender Scheren vergleichbar ist, erklärt werden.
In zukünftigen DEER-Untersuchungen könnten deutlichere Effekte durch SecB-Mutanten, die beispielsweise an der zentraler im Tetramer gelegenen Position C113 spinmarkiert sind, erzielt werden. Dies führt vermutlich zu einem erhöhten "Kontrast" zwischen substratfreier und substratgebundener Form des Chaperons. Jedoch ist diese Position sehr zentral im Protein gelegen und somit für die Spinlabeling-Experimente nur schwer zugänglich. Ein weiterer vielversprechender Ansatz wäre, zusätzlich eine Spinmarkierung am Substrat anzubringen und so durch die DEER-Abstandsmessungen bessere Einblicke in die Konformationsänderungen an den Bindungsstellen der Chaperone zu erhalten.